Kapitel 48

Nach dem Hauptgang nimmt Christopher kurz meine Hand, gibt mir einen Kuss und steht dann auf. Als es ruhig wird, kann ich sehen, wie er seine Aufregung hinunterschluckt, tief Luft holt und ansetzt.
„Ich danke Euch allen von Herzen, dass Ihr unserer Einladung gefolgt seid – teilweise sogar von Übersee – und mit uns diesen Tag verbringt. Ich… nein… wir hoffen, Ihr werdet dieses Ereignis in genau so schöner Erinnerung behalten wie wir, denn schon jetzt bin ich dankbar für jede einzelne Sekunde, die ich heute bereits erleben konnte.“
Ein Raunen und Kopfnicken unter den Gästen, was mir ein Lächeln auf’s Gesicht zaubert.
„Ich bin nicht der große Redner wie mein kleiner Bruder und hasse es generell, vor Menschen zu sprechen, aber heute komme ich nicht drum rum – und eine Sache muss definitiv gesagt werden.“
Christopher dreht sich zu mir, nimmt erneut meine Hände in seine und seine braunen Augen funkeln.
„Nicky, ich kann nicht glauben, dass unser Kennen lernen bereits fast zwei Jahre her ist. Wir haben eine Menge zusammen durchgemacht – Gutes wie Jayden sowie Schlimmes, was ich jetzt nicht erwähnen möchte. Aber ich hatte immer das Gefühl, unsere Beziehung ist durch diese Ereignisse gereift und intensiver geworden. Jede Sekunde mit Dir ist wie ein Geschenk und ich will, dass wir beide alt werden und unsere Kinder und – so Gott will – Enkel aufwachsen sehen. Manchmal möchte ich zu Sarah gehen und ihr danken, dass sie damals auf dem Fluss so übermütig war und ich Dich dadurch zu Boden gerissen habe. Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit unseren Leben passiert wäre, wenn sich unsere Wege dank Sarah nicht gekreuzt hätten. Aber eins weiß ich ganz genau: ich liebe Dich über alles, jede einzelne Faser von Dir, Dein Lachen, Deine strahlenden Augen, ja, selbst Deine Tränen und Deine sehr wenigen Macken und ich will Dich nie wieder loslassen – denn Du bist mein neues Leben!“

Für einen Moment ist es ruhig im Saal – alle Augen sind auf Christopher und mich gerichtet. Ich bin völlig baff von dieser Liebeserklärung und außer Stande, anständig darauf zu reagieren. Also tue ich das, was mir mein Herz sagt: ich lasse meinen Tränen freien Lauf, während ich Christopher küsse, ihn umarme und ihm ins Ohr flüstere, dass ich ihn ebenfalls über alles liebe. Ich hoffe inständig, dass niemand von mir eine Rede erwartet, denn dazu wäre ich absolut nicht in der Lage. Als ich mich wieder von Christopher löse und in die Runde schaue, blicken mich alle an.
„Ähm…“ Ich schniefe kurz. „Bitte erwartet jetzt von mir keine große Rede, denn ich bin grad völlig gerührt.“
Einige Damen wischen sich ebenfalls die Tränen aus dem Gesicht.
„Ich kann nur sagen, dass ich froh bin, mit Euch diesen Tag zu verbringen und dass ich, glaube ich, seit langem nicht mehr so glücklich war wie heute. Und das liegt an Euch… und an Dir, Christopher! Dank Dir habe ich eine Familie bekommen, die mich vom ersten Tag an aufgenommen hat. Dank Dir habe ich ein Zuhause gewonnen, was ich nicht erwartet habe. Dank Dir bin ich endlich da angekommen, wo ich hingehöre – zu Hause!“
Er neigt seinen Kopf zur Seite und formt mit seinen Lippen ein „Ich liebe Dich“.

Nach dem Dessert wechseln die Leute die Plätze beziehungsweise begeben sich nach draußen an die Tanzfläche, wo bereits die Band auf uns wartet.
„Los, der Hochzeitstanz, sonst können wir nicht abrocken!“ schreit Marcus aus der Menge heraus und Christopher und ich lächeln uns an.
„Na dann wollen wir mal, Mrs. Lawson!“
Er hält mir den Arm entgegen und gemeinsam gehen wir in den Garten. Ich weiß nicht, welches Lied gespielt wird, denn das hat Nina in die Hand genommen. Als die ersten Töne losgehen, schaue ich völlig überrascht zu ihr und auch Christopher scheint von der Wahl mehr als begeistert zu sein. Nina hat mein absolutes Lieblingslied „Angel“ von Sarah McLachlan rausgesucht und für ein paar Sekunden schauen Christopher und ich uns an, bis er leicht nickt und wir beginnen, uns im Takt der Musik über den Tanzboden zu bewegen. Wir vergessen beide die Welt um uns herum und ich habe das Gefühl, regelrecht in mein neues Leben zu schweben. Das Lied ist bereits vorbei, als wir wieder in die Gegenwart zurückgeholt werden.
„Jetzt bin ich an der Reihe, mit Mrs. Lawson zu tanzen!“ klopft Marcus Christopher auf die Schulter und er überlässt mich ihm sehr bereitwillig.
„Aber nur, wenn ich auch mit Deiner Frau mal ne flotte Sohle auf’s Parkett legen darf.“
Nina hat natürlich nur darauf gewartet und steht schon parat.

Den ganzen Nachmittag und Abend verbringen wir im Garten und auf der Terrasse. Die Catering-Firma hat ein kleines Buffett aufgebaut, so dass man immer mal wieder etwas naschen kann. Emily, meine sowie Christopher’s Mutter kümmern sich abwechselnd rührend um die Kinder und bringen sie später auch in den Nebenraum zum schlafen, wo einige Babyphone aufgestellt sind, so dass wir die Kleinen im Saal oder auf der Terrasse hören können.

Kurz vor Mitternacht verschwinden Christopher und ich zusammen mit dem Caterer in die hauseigene Küche, wo unsere traumhafte Hochzeitstorte wartet.
„Wie wollen Sie es machen?“ fragt er uns.
Wir schauen uns kurz an und einigen uns dann darauf, dass wir einige wenige Worte sagen werden und er dann hereinkommen soll. Die Hausdame ist ebenfalls bei uns, mit der wir ausmachen, dass sie auf unser Zeichen das Licht löschen soll. Gesagt, getan – nachdem Christopher sich noch einmal für das zahlreiche Erscheinen bedankt hat und ich noch ein paar Dankesworte an die Gäste richte, wird das Licht gelöscht und die vierstöckige, mit Wunderkerzen dekorierte Torte rollt herein. Ein Raunen geht durch den Raum und dann sind wir wieder gefragt. Gemeinsam mit meiner Hand auf seiner schneiden wir das erste Stück ab und füttern uns gegenseitig mit der süßen Leckerei.

Nach und nach holen sich die Gäste ihr Stück ab und machen es sich an den Tischen und auf den Bänken bequem. Plötzlich sehe ich, wie Jacob und Claudia in den kleinen Pavillon im hinteren Teil des Gartens verschwinden. Anscheinend bekommt es sonst keiner mit, denn ich muss Christopher erst darauf hinweisen.
„Schau mal, Dein kleiner Bruder sucht sich ein romantisches Plätzchen.“
Er grinst, als er die beiden beobachtet.
„Wer weiß, was er wieder im Schilde führt.“
Wir zwei gehen in eine ruhigere Ecke der Terrasse und während wir uns den leckeren Kuchen schmecken lassen, spähen wir immer wieder zu den beiden hinüber, als ich mich mit einem Mal fast an meinem Bissen verschlucke. Ich kann nichts sagen, also stupse ich Christopher aufgeregt in die Rippen.
„Was ist denn los, Schatz?“ fragt er mit leicht aufgerissenen Armen.
Ich bin immer noch nicht fähig, etwas zu sagen und deute deshalb mit meinem Kopf in die Richtung von Jacob und Claudia. Er versteht sofort, denn seine Kinnlade klappt herunter. Claudia sitzt auf einer Bank im Pavillon und Jacob… kniet vor ihr und hält ihr etwas entgegen. Wir warten gespannt auf die Reaktion von ihr und als sie ihm überschwänglich um den Hals fällt, kralle ich mir Christopher’s Arm und laufe mit ihm zu den beiden.

Christopher räuspert sich kurz, so dass die beiden uns bemerken.
„Darf man gratulieren?“ Jacob und Claudia fühlen sich ertappt, aber strahlen über’s ganze Gesicht.
„Weißt Du, Chris, irgendwie habe ich das Gefühl, wir sollten mal im Rathaus von Toronto vorbeigehen.“
Mein Mann schaut ihn fragend an. „Wie jetzt?“
„Naja“, beginnt Jacob erneut, während er Claudia in den Arm nimmt. „Wir sollten den Humber River umbenennen lassen.“
Jetzt schalte auch ich mich ein. „Ach, und was schwebt Dir da so vor?“
Er schmunzelt und erwidert. „Fluss zum Verlieben!“

- ENDE -

NACHTRAG:

Jetzt noch kurz zu meinen Quellen. In der Story sind einige Orte und Lokalitäten vorgekommen. Dazu muss ich sagen, dass es die meisten – sofern ich sie mit Namen genannt habe – auch in Wirklichkeit gibt. Solltet Ihr Euch also mal in Toronto und Umgebung beziehungsweise in New Orleans aufhalten, kommen hier die Links:

Orte/Lokalitäten:

Humber River (http://de.wikipedia.org/wiki/Humber_River)
Dufflet Pastries (http://www.dufflet.com/home.asp)
Raymore Park (http://en.wikipedia.org/wiki/Raymore_Drive)
Empress Hotel, New Orleans (http://empresshotelneworleans.com)
St. Michael’s Hospital (http://www.stmichaelshospital.com)
Mount Sinai Hospital (http://www.mountsinai.on.ca)
Casa Loma Castle (http://www.casaloma.org)
Jealous Bridesmaids (http://www.jealousbridesmaids.com)
Culinaria Restaurant (http://www.menupalace.com/menupalace/voicestar/establishment.aspx?id=32648)
Haines Makeup and Hair Artistry (http://www.nerissahaines.com)


Kulinarische kanadische Spezialitäten, die ich genannt habe:
 
Cocktail „Hurricane“ (der Name ist wirklich reiner Zufall – der Cocktail wurde tatsächlich in New Orleans „kreiiert“)
(http://www.cocktaillounge.at/cocktailrezept/hurricane-cocktailrezept.12.htm)
Hash Browns (http://www.chefkoch.de/rezepte/1274511232807486/Hash-Brown.html)
Chocolate Chip Cream Cheese-Muffins (http://allrecipes.com/recipe/chocolate-chip-cream-cheese-muffins/)

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