Kapitel 3

„Geschieden?“schaut er mich plötzlich fragend an. Ich kann nur die Augenbrauen heben und ihn irritiert anschauen. Steht das auf meiner Stirn oder wie? „Die helle Stelle an Ihrem Ringfinger.“ Mein Hals schnürt sich zu, als ich meine Hand vor meinen Augen drehe. Vier Jahre hatte ich mit Stolz Tom’s Ring getragen und so schnell kann es vorbei sein. Ich hole tief Luft.
„Ja, offiziell geschieden seit einem halben Jahr. Er hat…“
„Warten Sie, Miss Fischer. Sie müssen mir nichts davon erzählen. Ich bin ein Fremder und mich geht es absolut nichts an.“ Ich muss schmunzeln. „Was ist so lustig?“schaut er mich verblüfft an.
„Naja, Mr. Lawson. Sie haben mir von… naja… von Sarah’s Mutter erzählt, ich habe Ihnen erzählt, dass ich geschieden bin. Ich würde sagen, wir sind uns genau jetzt nicht mehr fremd, oder?“
Den Qualm über seinem Kopf kann ich regelrecht sehen, als er nachdenkt. „Sie haben recht.“

Mittlerweile bestelle ich den zweiten Cappuccino und er sich den dritten Kaffee. Wir reden über Gott und die Welt und ich erfahre, dass er eigentlich in den USA geboren und aufgewachsen, aber der Liebe zum Land wegen nach Kanada gegangen ist. Jacob, sein jüngerer Bruder und er, die immer unzertrennlich waren, hatten sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, eine Immobilienfirma zu gründen, da sie schon immer ein Faible für Häuser hatten. Abgesehen von ihrer Firma hatten sie noch ein Nebenprojekt laufen, bei dem sie durch Spendenaktion finanzierte Restaurationsarbeiten an alten Häusern überwachten.
„Naja, eigentlich bedeutet in unserem Fall ‚überwachen’, dass wir mit den ganzen Handwerkern zusammenarbeiten.“ erzählt er und ich kann in seinen Augen erkennen, dass es eine Herzensangelegenheit von ihm ist. „Aber jetzt bist Du an der Reihe, Ni… Oh, sorry, jetzt bin ich doch einfach so in meine alte Gewohnheit zurückgefallen. Erzählen Sie was von sich, Miss Fischer.“
„Ist schon okay, Christopher. Wir können gern beim Du bleiben.“


Nun muss ich ihm Rede und Antwort stehen. Er umgeht Fragen zum Thema Scheidung, was ich ihm hoch anrechne.
„Und was willst Du machen, nachdem Dein Urlaub bei Deinen Freunden vorbei ist?“ schaut er mich an.
„Ich möchte meine Freiheit genießen, jetzt, wo mich nichts und niemand mehr davon abhält.“
„Und wie sieht diese Freiheit aus?“ schaut er mir fasziniert in die Augen.
„Ich möchte die Welt bereisen. Ich habe es immer geliebt, fremde Länder und Kulturen kennen zu lernen. Und ich möchte unbedingt Australien wieder sehen. Auf meiner ersten Reise dahin habe ich mich verliebt – in das Land natürlich!“ Wir lachen.
„Australien. Ja, da wollte ich auch schon immer mal hin. Aber mit einem Kleinkind ist das nicht so einfach und billig ist es ja leider auch nicht.“
„Ich lad Dich einfach in ein paar Jahren in mein Hotel ein.“
„Wohin?“ reißt Christopher den Mund auf.
„Mein Traum ist ein kleines Hotel in Australien oder Neuseeland. Das, was Marcus gemacht hat, möchte ich auch gern eines Tages machen – aber eben Down Under.“ erkläre ich.
„Na, wenn das so ist, dann weiß ich ja, wo wir Sarah’s High School-Abschluss feiern werden.“

Ohne, dass wir es merken, vergehen vier Stunden.
„Nicky, es tut mir echt leid, aber ich muss jetzt gehen. Jacob hat heute Abend noch eine Verabredung, nein, ein Date und ich will nicht, dass Sarah abends alleine zu Hause ist.“
„Kein Problem. Ist ja auch schon spät. Ich hatte nicht im Traum damit gerechnet, dass ein… wie nanntest Du es… Entschuldigungs-Kaffee sich in eine vierstündige Konversation verwandelt.“
Christopher zahlt, auch wenn ich dagegen protestiere. „Du kannst Dich ja gern mal revanchieren, denn… ich… also…“ Er fängt an zu stottern. Fragt er mich nach einem zweiten Date? He, Moment mal, dass war doch nie ein Date, oder doch? In meinem Kopf rattern jegliche Rädchen. Will ich das wirklich? Will ich mich schon wieder auf einen Mann einlassen? Aber diese Augen, seine Aura – all das würde ich gern wieder sehen.
„Nicky?“ Christopher’s Berührung an meinem Arm lässt mich erzittern. „Wo warst Du denn gerade in Gedanken?“
„Ach, egal! Was hast Du gesagt?“
„Ich würde Dir gern die Gelegenheit geben, Dich zu revanchieren, denn ich würde Dich sehr gerne wieder sehen wollen.“
Mein Puls schießt augenblicklich in die Höhe und ich weiß sofort, was mein Körper mir damit sagen will, aber ich versuche, es zu unterdrücken. Scheiße, Nicky, Du wirst Dich jetzt nicht verlieben, auf gar keinen Fall! Ich nicke.
„Wir können das gern wiederholen. Würde mich freuen.“
„Wollen wir morgen Eis laufen gehen? Ich verspreche, dass ich Dir diesmal auch nicht weh tun werde. Vielleicht wollen ja Nina, Marcus und Mathilda auch mitkommen, denn… Sarah wird auch mit dabei sein.“
Sein Blick will mir nicht verraten, was er gerade denkt, aber er irritiert mich.
„Ich komme sehr gern mit Euch beiden zum Eis laufen. Vielleicht kann ich von Sarah ja noch etwas lernen. Und ich bin mir sicher, dass meine Freunde auch mit dabei sind. Also dann morgen Nachmittag so gegen 3 Uhr? Am Raymore Park?“
Christopher nickt. „Ich freu mich!“

Kaum bin ich zu Hause, quetschen mich Nina und Marcus abwechselnd aus. Ich erzähle Ihnen eine Kurzfassung.
„Siehste, von wegen verheiratet! Ein Kind muss nicht immer gleich Ehefrau bedeuten! Ich glaube nicht, dass er der Typ ist, der andere Frauen anbaggert, aber zu Hause jemanden sitzen hat.“ Ich hoffe, Nina hat recht.
„Für Euch ist es also okay, wenn wir morgen wieder Eis laufen gehen?“
„Aber sicher doch!“ springt Marcus auf. „So richtig haben wir es ja noch gar nicht gemacht. Letzte Woche sind wir ja unterbrochen worden.“

Christopher’s Auto hält fast zeitgleich mit unserem am nächsten Tag auf dem Parkplatz.
„Hey, Nina, ich hab was für Dich dabei!“ grinst er und wedelt mit ein paar Prospekten vor ihrer Nase herum. „Hier sind meine Specials. Jacob hat sich gestern Nachmittag nochmal Euren Wünschen gewidmet und diese hier aus unserer Schatzkiste geangelt.“
Marcus und ich schmunzeln uns an. „Ich glaub, die kannste für heute vergessen! Ich kümmer' mich mal um Mathilda und Sarah.“
Er geht zu den beiden, die bereits am Ufer auf den Bänken ihre Schlittschuhe auspacken. Christopher schließt in der Zwischenzeit noch seinen Wagen ab und kommt dann auf mich zu.
„Und, gewappnet?“
„Ich denke schon. Hauptsache, Du lässt Sarah heute nicht von der Leine!“
Er lacht und als wir an den Stufen zum Ufer ankommen, nimmt er meine Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, ob ich sie zurückziehen soll, als er mir zu verstehen gibt, dass er mir nur die sehr vereisten Treppen zum Fluss hinunter helfen will. Kaum unten angekommen, lässt er mich auch schon wieder los. Meine Gefühle fahren gerade mit meinem Kopf Achterbahn. Wenn ich in Christopher’s Augen schaue, möchte ich darin versinken, aber sobald er mich auch nur zufällig berührt, durchfährt es mich wie ein Blitz und ich kann nicht deuten, ob das positiv oder negativ aufzufassen ist.

„Alles bereit für den zweiten Versuch?“ schreit Marcus, der schon mit Mathilda und Sarah in der Mitte des Flusses steht.
Im Gegensatz zu letztem Sonntag klappt heute das Anfahren ohne Probleme. Ich starre nicht mehr ständig auf meine Füße und kann das Eislaufen wieder so richtig genießen. Christopher und Marcus kümmern sich abwechseln darum, unsere zwei Flöhe in der Nähe zu halten, während Nina mich ausquetscht – von Frau zu Frau.
„Also, wenn ich nicht mit dem besten Mann der Welt verheiratet wäre, würde ich mich von diesem Immobilienmakler auch mal auf einen Entschuldigungs-Kaffee einladen lassen.“
„Nina!!! Lass das nicht Mac hören! Du findest ihn also gut?“
Sie neigt ihren Kopf. „Wie ich ihn finde steht hier nicht zur Debatte. Was ist mit Dir?“
Ich schaue Christopher eine Weile zu, wie er mit Mathilda, Sarah und Marcus „Hasch mich“ spielt.
„Ich weiß nicht…“ fange ich an. „Seine Augen sind faszinierend, wenn er redet, zieht er mich voll und ganz in seinen Bann.“
Nina stupst mich von der Seite an. „Und das Äußere interessiert Dich gar nicht?“
Wir brechen in schallendes Gelächter aus. „Ich dachte, das muss ich Dir gar nicht erst sagen.“
„Aber jetzt mal ganz ehrlich, Nicky. Ich merke doch, dass Du Dich dagegen wehrst. Wieso?“
Was soll ich ihr jetzt antworten? Was soll man auf eine Frage antworten, die man sich selbst schon gestellt hat und auf die man keine Antwort weiß?
„Ich denke, ich habe Angst. Angst davor, wieder verletzt zu werden.“
„Wenn Du die Vergangenheit nicht irgendwann hinter Dir lässt, Nicky, wird die Angst Dich früher oder später auffressen. Ich kann mir vorstellen, dass es dauern wird, bis Du alles verarbeitet hast, aber währenddessen kannst Du doch das Glück auch schon wieder etwas an Dich heranlassen. Probier’s einfach.“

Am nächsten Stand machen wir Halt und Christopher bestellt für uns alle eine heiße Schokolade. Marcus und er scheinen sich sehr gut zu verstehen und auch die Kids sind ein Herz und eine Seele.
„Los, weiter geht’s!“ schreit Mathilda und Nina und Marcus haben Mühe, den beiden Mädchen hinterher zu kommen.
Ich warte noch auf Christopher, der zahlt und dann fahren wir nebeneinander her. Ich hasse dieses Anschweigen und überlege krampfhaft, wie ich ein Gespräch ins Rollen bringen kann.
„Seit wann fährst Du eigentlich Schlittschuhe?“
Innerlich greife ich mir an den Kopf für diesen Satz. Toll, Nicky, ganz toll! Etwas Blöderes ist Dir wohl nicht eingefallen!!!
„Ich hab es von meinem Bruder gelernt. Er war schon in unserer Kindheit jemand, der immer alles ausprobieren musste und ich war immer derjenige, der auf ihn aufpassen musste. Liegt wohl daran, dass ich der Ältere bin.“ Er lächelt mich an und dieses Strahlen in seinem Gesicht erwärmt mein Herz. „Ich hab es immer vermieden, mich auf’s Eis zu begeben. Ich bin Neuem immer etwas skeptisch gegenüber. ‚Lieber vom Rand auf Jacob aufpassen, als auch noch auf mich selbst aufpassen müssen!’war immer meine Devise. Aber seitdem wir in Kanada sind, wo das Eis einfach zum Leben dazugehört, bin ich auch mit den Schlittschuhen warm geworden. Allein schon wegen der Tatsache, dass Jacob Sarah an ihrem zweiten Weihnachten gleich mal ein paar Schlittschuhe geschenkt hat. Da musste ich einfach auch in den sauren Apfel beißen.“
„Dafür machst Du es aber verdammt gut. Ich nehme mal an, dass Sarah so zirka 3 oder 4 Jahre alt ist, was bedeutet, dass Du erst seit maximal zwei Jahren auf dem Eis stehst, oder?“ mustere ich ihn.
„Gut geschätzt, Respekt!“ Christopher hebt den Daumen. „Sarah ist jetzt knapp vier Jahre alt und ich musste natürlich von Anfang an mit ran. In jeder freien Minute hat Jacob die Kleine mit auf’s Eis genommen und Daddy durfte da natürlich nicht fehlen. Gott sei Dank hat mich niemand gesehen, als ich angefangen habe.“
Bei der Vorstellung muss ich laut loslachen und er stupst mich in die Seite. Damit hatte ich nicht gerechnet und ich wedele mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, doch vergeblich. Wieder einmal verliere ich gegen den glatten Untergrund und kann mich im letzten Moment noch an Christopher’s Hand festkrallen, was aber absolut nichts nützt. Ganz im Gegenteil – im Bruchteil von Sekunden liegen wir beide auf dem Eis. Ein kurzer Schock, ein Blick in die Augen und wir brechen in lautes Gelächter aus.
„Ich scheine Dich immer zu Boden zu reißen, egal, was ich auch mache, oder?“ bringt er zwischen seinen Japsern hervor.

Nachdem wir uns etwas beruhigt haben, steht Christopher auf – wenn auch nicht wirklich elegant, wie ich feststelle. Er braucht drei Anläufe und ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht laut zu lachen und ihm damit das Aufstehen unmöglich zu machen. Jetzt bin ich an der Reihe, doch anstatt abzuwarten, wie ich mich wohl anstelle würde, streckt er mir seine Hände entgegen.
„Darf ich Dir helfen?“
Er zieht mich elegant nach oben und durch den Schwung lande ich extrem nah an seinem Körper… und seinem Gesicht. Ich spüre seinen heißen Atem und meine Knie werden ganz weich. Mein Kopf kämpft gegen meine Gefühle – ich sollte mich umdrehen und die Situation damit entschärfen, aber will ich das wirklich? Ich kann mich nicht bewegen und die Zeit bleibt stehen. Seine Augen… seine wunderschönen braunen Augen dringen tief in meine Seele, ich versinke in seinem Blick. Was mache ich hier nur? Was macht er nur mit mir?

Kommentare