Kapitel 8

Ich kann den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten, was mich wahnsinnig macht. Christopher geht in die Theke, um für uns Getränke zu bestellen und als wir uns setzen, fädelt es Jacob, ohne dass ich es merke, so ein, dass er links von mir und Sarah rechts von mir sitzt; Christopher mir mehr oder weniger gegenüber. Ok, reiner Zufall, Nicky! Ruhig bleiben! Während wir auf seinen Bruder warten, legt Jacob, als wäre es völlig normal, seine Hand auf meine Lehne, wobei er mich am Rücken berührt. Er macht keine Anstalten, etwas Abstand zu halten – ganz im Gegenteil: er beginnt langsam, mir über den Rücken zu streicheln und seine Hand wandert bis hinauf in den Nacken. Diese Berührung lässt mich erschauern, aber plötzlich höre ich meinen Kopf und meinen Bauch zusammen zu mir sprechen: ‚Das ist der falsche Mister Lawson. Diese Art von direkter Anmache lässt nichts Gutes erahnen.’ Ich schaue in Christopher’s Richtung und merke, wie sich meine Gefühle in der Magengegend ändern: Schmetterlinge. Sobald ich mich wieder auf die Hand in meinem Rücken konzentriere, beginnt mein Puls an zu rasen. Nein, das ist nicht der hohe Puls, wie ich ihn fühle, wenn Christopher mich berührt; dieser hohe Puls fühlt sich an, wie in den Situationen, wenn meine Alarmglocken läuten.

Ich mache augenblicklich ein Hohlkreuz und schiebe meinen Oberkörper im Stuhl leicht nach vorne, um Jacob damit zu sagen, dass ich das nicht möchte, aber anscheinend versteht er das Zeichen nicht. Oder will er es nicht verstehen? Ich schaue ihn an:
„Jacob, könntest Du das bitte lassen. Es ist mir unangenehm.“
Seine Augen faszinieren mich auch jetzt noch – dieses Blau müsste verboten werden, doch auf einmal kann ich ein Funkeln sehen, was mir vorher nicht aufgefallen ist. So muss ein Jäger schauen, wenn er seine Beute entdeckt hat, geht es mir sofort durch den Kopf. In diesem Moment kommt Christopher an den Tisch. Innerlich mache ich vor Erleichterung einen Freudentanz.

Wir bleiben ca. zwei Stunden in dem Café und die beiden Brüder erzählen mir von ihrem Beruf, wie sie sich ihre Firma mit viel Schweiß und Arbeit aufgebaut haben und wem sie so alles schon Häuser verkauft haben. Natürlich muss ich schwören, niemandem davon zu erzählen, aber um ehrlich zu sein, kann ich mit den meisten Namen sowieso nichts anfangen. Dann erfahre ich, dass die beiden in einem großen Haus, welches sie selbst renoviert haben, zusammen wohnen und ich quetsche sie aus, ob das nicht ab und an nervt.
„Eigentlich nicht. Wir haben uns schon immer super verstanden und das Haus ist so konstruiert, dass wir zwei separate Eingänge haben. Die Küche und das Wohnzimmer teilen wir uns, alle anderen Zimmer gibt es immer in doppelter Ausführung.“
„Und die Zimmer sind ziemlich weit voneinander entfernt, wenn Du verstehst! Christopher ist zusammen mit Sarah im ersten Stock, während ich mein Reich im Erdgeschoss habe“, grinst mich Jacob an und lässt seine Hand auf mein Bein gleiten.
„Ah ja, Ihr habt also an alles gedacht.“ erwidere ich und ziehe mein Bein zurück.
Wenn er so weiter macht, werde ich nicht mehr lange so nett sein, geht es mir durch den Kopf.
„Ist ja auch besser so, dass Du im Erdgeschoss bist, Jay. Du würdest es doch mit Deinen Errungenschaften eh nie bis nach oben schaffen und außerdem soll Sarah einen unbeschwerten Schlaf genießen.“
Ich lächle ihn an. Er scheint eine Menge Verständnis für seinen Bruder zu haben, der wohl auch mit 40 Jahren noch immer eher ein Draufgänger zu sein scheint, als sich die Frau für’s Leben zu suchen. Plötzlich klingelt Jacob’s Handy.
„Bin gleich wieder da.“ und schon ist er weg.
„Na, wie findest Du ihn?“ fragt mich Christopher.
„Er ist sehr nett“, erwidere ich, was ja nicht gelogen ist. „Ich war sehr überrascht, als er mir sagte, dass Ihr Brüder seid. Eine Ähnlichkeit ist ja nicht wirklich vorhanden – äußerlich wie auch innerlich, wie mir jetzt klar wird.“
Er lächelt mich an. „Das stimmt, aber vielleicht verstehen gerade deshalb wir uns so gut.“
„Daddy?“ ruft plötzlich Sarah dazwischen. „Darf Nicky zu meiner Geburtstagsfeier kommen?“
Wir beiden schauen uns an.
„Wenn Nicky das möchte, darf sie natürlich zu Deiner Feier kommen.“
Völlig überwältigt von dieser spontanen Einladung nicke ich nur mit dem Kopf.
„Wann hast Du denn Geburtstag, Sarah?“
Sie schaut ihren Vater an und ich kann sehen, wie sie in Gedanken rechnet.
„Noch vier mal schlafen, richtig, Daddy?“
„Sehr gut, mein Engel!“
Er streichelt ihr sanft über die Haare, während ich in Gedanken mit meinen Fingern zähle: Dienstag.
„Hast Du denn einen besonderen Wunsch? Oder soll ich Dich überraschen?“
„Du musst ihr nichts schenken, Nicky!“ unterbricht mich Christopher, aber ich bestehe darauf.
„Ich kann doch nicht auf einer Geburtstagsfeier erscheinen und dann kein Geschenk mitbringen, oder, Sarah?“
Sie quietscht vergnügt vor sich hin und antwortet dann:
„Ich wollte immer eine Laterne für mein Zimmer haben. So was, was sich abends dreht und auch von alleine leuchtet. Weißt Du, was ich meine.“
„Ja, ich kenne das. Das gibt es in Deutschland auch. Mal sehen, was ich für Dich tun kann. Wann geht es denn los?“ frage ich jetzt an Christopher gewandt.
„Die ersten Kids werden so gegen drei Uhr von ihren Eltern gebracht. Manche wird Jacob auch von zu Hause abholen. Wenn es Dir nichts ausmacht, wär’s toll, wenn Du vor ihnen da wärst.“
Ich sehe in seinen Augen eine leichte Nervosität. „Hat da jemand etwas Muffensausen?“
„Allerdings! Schon bei dem Gedanken wird mir ganz mulmig. 15 Kinder und nur Jacob und ich? Bin echt froh, dass uns jetzt noch eine Frau unter die Arme greift.“
„Kein Problem, ich komme sehr gerne“, antworte ich ihm, doch innerlich passt mir eine Tatsache nicht so ganz: Jacob wird auch da sein.
Ich hoffe für ihn, dass die Kinder uns alle so in Beschlag nehmen, dass er nicht einen neuen Versuch starten wird. Nachdem Jacob vom Telefonieren zurück ist, dauert es auch nicht lange und wir verabschieden uns.
„Wir sehen uns dann am Dienstag, ja?“ strahlt mich Jacob an.
„Ja, ich freu mich auf die Party!“ sage ich eher zu Sarah und Christopher als zu ihm.

Christopher und Sarah bringen mich nach Hause, Jacob hatte noch einen anderen Termin wahrzunehmen.
„Ha, diese Art von Termine kenn ich nur zu genau bei ihm!“
„Er hat ein Date?“ frage ich ihn vorsichtig.
„Ja, ich denke schon und wie ich ihn kenne… Ach, lassen wir das!“
Ich weiß, was er sagen wollte, beende aber den Satz nur in meinen Gedanken: …wird es nicht beim Abendessen bleiben. Jacob scheint nichts anbrennen zu lassen und wer nicht bei drei auf den Bäumen ist, hat schon verloren. Im Grunde kann ich die Frauen, die ihm verfallen, verstehen, aber nach meiner Vergangenheit scheine ich dann doch eher den sicheren Weg gehen zu wollen.
„Ist alles in Ordnung mit Dir, Nicky?“ reißt mich Christopher aus meinen Gedanken, als er den Motor in der Auffahrt abstellt. „Du warst so ruhig auf der Fahrt.“
„Nein, nein, alles bestens!“ versichere ich ihm, wobei ich innerlich immer noch über die Annäherungsversuche von Jacob nachdenke. „Sarah, wir sehen uns dann am Dienstag.“
Sie schaut mich mit großen Augen an. „Versprichst Du mir, dass Du eine Laterne mitbringst?“
„Ich kann Dir nichts versprechen, Schatz, aber ich werde mein Möglichstes versuchen, ok?“
Christopher steigt aus dem Wagen und hilft mir aus dem Sitz. Er bringt mich noch zur Tür und für einen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber.
„Wir sehen uns dann am Dienstag?“ frage ich ihn in der Hoffnung… Ja, welche Antwort erwarte ich eigentlich von ihm?
„Ja, Dienstag so gegen zwei Uhr, wenn Du es schaffst. Die Adresse müsste das Navi ohne Probleme finden.“
Wir beide überlegen, wie wir uns jetzt verabschieden sollen und einigen uns wortlos auf eine Umarmung. Er geht zurück zum Auto und ich krame den Schlüssel aus meiner Tasche. Gerade, als ich ihn im Schloss herumdrehe, höre ich hinter mir Schritte näher kommen.
„Nicky?“
„Ja? Ist noch was, Christopher?“
Ohne ein weiteres Wort packt er mich und küsst mich mit solcher Hingabe, dass es mir fast den Boden unter den Füßen wegzieht.
„Ich hatte noch etwas vergessen, ohne das ich nicht gehen wollte.“ schaut er mich an, nachdem er mir wieder die Möglichkeit gibt, frei zu atmen.
Er dreht sich um, geht zum Auto, steigt ein und mit dem Anflug eines Lächelns fährt er davon. Ich bleibe noch einen Moment auf der Veranda stehen, versuche, das eben Geschehene zu verarbeiten und gehe dann ins Haus.

Am Samstag morgen mache ich mich mit dem Wagen auf den Weg in die Stadt. Neben den normalen Einkäufen wollte ich natürlich auch die gewünschte Laterne für Sarah besorgen. Gott sei Dank ist der Verkehr noch nicht sehr stark, so dass ich ohne große Probleme bis in die City komme und mich auf die Suche begeben kann. Nachdem ich etliche Spielwaren- und Dekorgeschäfte abgeklappert habe, werde ich bei dem siebten Laden endlich fündig. Ich kaufe eine kleine Nachttischlampe, bei der sich das Gehäuse dreht, sobald man sie einschaltet und eine Laterne mit Elefanten, die tagsüber die Sonnenstrahlen auffangen und dann nachts leuchten. Auf dem Weg zurück zum Auto komme ich an dem kleinen Diner vorbei, in dem ich mich mit Christopher das erste Mal getroffen habe. Das ist gerade mal drei Wochen her und doch habe ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Ich entschließe ich, mir dort ein kleines Mittagessen zu gönnen und schwelge ein bisschen in Erinnerungen.

Obwohl ich schon sehr früh aufgebrochen war, verging die Zeit wie im Fluge. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass es bereits nach drei Uhr ist. Ich sollte mich auf den Weg machen, denke ich mir. Keine Lust, im Dunkeln zu fahren. Auf dem Weg zum Auto schreibe ich Christopher noch schnell eine SMS:
„Laterne bekommen. Ich hoffe, ich habe Sarah’s Geschmack getroffen. Bis Dienstag – ich freu mich!“
Ich habe gerade die Einkäufe verstaut, als auch schon seine Antwort kommt.
„Fantastische Neuigkeiten! Ich freu mich noch viel mehr!“
Mein Herz macht einen kleinen Freudensprung. Ich schüttele den Kopf. Dass ist mich nach dieser herben Enttäuschung so schnell wieder von einem Mann faszinieren lassen kann, hätte ich vor einem Monat nie gedacht.

Am Abend mache ich es mir in bequemen Sachen auf der Couch gemütlich: Pizza, ein Glas Wein und ein schöner schnulziger Film – das muss nach diesen aufregenden Tagen auch mal sein. Ich lege gerade die DVD ein, als es an der Tür klingelt. Das ist jetzt nicht wahr, oder? Wer kann das denn um diese Uhrzeit und an einem Samstag Abend noch sein? Ich schaue durch den Spion… und sehe Jacob. Was in aller Welt… Mir stockt der Atem.
„Hi, Jacob!“ begrüße ich ihn, als ich ihm öffne. „Was machst Du denn hier? Und noch dazu um diese Stunde.“
„Ich hatte geschäftlich in der Gegend zu tun und dachte, ich schau mal kurz vorbei.“
Wer’s glaubt, geht es mir durch den Kopf. ‚Geschäftlich’ und dann ohne Anzug, sondern in dunkler Jeans und einfachem, wenn auch sehr schickem, Shirt? Ich merke, wie ich auf meiner Unterlippe herumkaue.
„Willst Du vielleicht kurz reinkommen?“ sage ich in der Hoffnung, er lehnt ab. „Sehr gerne! Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Nein, nein. Ich wollte mir gerade einen ruhigen Abend machen. War heute den ganzen Tag in der Stadt und bin jetzt völlig erledigt. Möchtest Du etwas zu trinken?“
Innerlich ohrfeige ich mich für diesen Satz. Jetzt krieg ich ihn nicht so leicht wieder los.
„Oh ja, danke! Ich schließe mich Dir an und nehme auch einen Rotwein, wenn Du nichts dagegen hast.“
Was sollte ich denn dagegen… Moment mal! Ich hatte doch sein Auto in der Auffahrt gesehen.
„Du solltest vielleicht keinen Alkohol trinken. Du musst ja schließlich noch fahren.“
Jacob, der bis jetzt an der Terrassentür stand, kommt nun auf mich zu. Bitte setz Dich auf den Sessel, bitte setz Dich auf den Sessel, bete ich zum Himmel. Aber eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Noch während ich ihm ein Glas Wein einschenke, macht er es sich neben mir auf der Couch bequem. Naja, eigentlich macht er es sich fast auf mir bequem. Mir ist nicht wohl dabei und ich nutze die Gelegenheit, etwas auf Abstand zu gehen, als ich ihm sein Getränk reiche und mich etwas umsetze.
„Auf einen gemütlichen Abend.“ schaut er mich an und hält mir das Glas entgegen.
„Ähm, ja, auf einen gemütlichen Abend.“ antworte ich und fühle mich in die Enge getrieben.

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