Kapitel 7

Wir schlendern gemütlich hinter den beiden her, genießen die wärmenden Sonnenstrahlen, die trotz Mitte Dezember noch recht angenehm sind und reden über Gott und die Welt. Nina ist immer noch total begeistert von dem Haus und bespricht schon die Inneneinrichtung – halb mit Marcus, halb mit Christopher. Ich habe eher immer ein Auge auf die beiden Mädchen, die jetzt schon doch sehr weit vor uns sind. Immer wieder recke ich meinen Kopf, um sie über den Köpfen der anderen Besucher zu sehen und werde etwas schneller. Christopher bemerkt dies und kommt zu mir.
„Mach Dir keine Sorgen, ich weiß, wo die beiden hinwollen. Da hinten ist das Elefantengehege. Deswegen sind sie etwas schneller geworden.“
Ich lächle ich an. Bei ihm muss man echt aufpassen, wie man sich verhält – er scheint alles zu merken. Mittlerweile sind Nina und Marcus etwas weiter hinter uns und Christopher und ich sind allein. Wir laufen eine Weile nebeneinander her, ohne ein Wort zu reden, als plötzlich seine Hand meine erst zaghaft berührt. Ich erschrecke kurz, da ich nicht damit gerechnet habe und er zieht sie schnell wieder zurück. Ich drehe meinem Kopf zu ihm, er schaut mich mit einem entschuldigenden Blick an, doch ich lächle zurück. Es ist kein Lächeln, welches ihm sagt, dass ich ihm den Ausrutscher verzeihe; ich versuche ihn zu ermutigen, es noch einmal zu tun. Und tatsächlich versteht er mich. Ganz vorsichtig gleiten seine Finger über meinen Handrücken, bevor er sich zu meiner Handinnenfläche vorarbeitet und seine Finger mit meinen kreuzt. Es fühlt sich so gut an, wieder jemanden so festzuhalten. Seine starken Hände geben mir so viel Halt, als würde er mich komplett umarmen.

Bis zum Elefantenhaus gehen wir Hand in Hand zusammen, als Christopher mich augenblicklich loslässt. Ich bin zunächst total überrascht von dieser Geste, aber dann verstehe ich den Grund: Sarah schaut zu uns – mit einem Blick, den ich nicht deuten kann. Obwohl sie ihre Mutter nie kennen gelernt hat, ist es für sie vielleicht nicht einfach, eine andere Frau an der Seite ihres Daddys zu sehen. Sie und Mathilda haben leuchtende Augen und zeigen immer wieder auf die Tiere.
„Welches ist denn nun Matu?“ frage ich Sarah, um zu sehen, wie sie auf mich reagiert.
Gott sei Dank ist sie wie immer.
„Du musst hier rüber kommen, Nicky. Er versteckt sich hinter seiner Mommy.“
Sie zieht mich zu sich, zwingt mich zu ihr nach unten, so dass ich neben ihr hocke und lehnt sich an mich. „Kannst Du ihn sehen?“
Ich nicke, doch eigentlich schaue ich nicht auf Matu sondern auf Sarah. Nicht nur die Augen hat sie von ihrem Vater, sondern auch einige Gesichtszüge. Mein Blick wandert zu Christopher, der Mathilda auf dem Arm hat, damit sie über die Absperrung sehen kann. Ich bin so gerührt von diesem Anblick, dass es mir fast Tränen in die Augen treibt.
„Magst Du meinen Daddy?“ reißt mich plötzlich Sarah aus meinen Gedanken.
„Ähm, wie bitte?“ schaue ich sie leicht irritiert an.
„Magst Du meinen Daddy“ Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll vor allem, weil ich Christopher’s Blick auf mir spüre.
„Ja, ich mag Deinen Daddy und Dich mag ich auch.“
Sarah scheint sich mit der Frage zu begnügen und als ich den Blick wieder hebe, lächelt mich Christopher an.

Nach ca. zwei Stunden haben wir den Rundgang durch den Zoo bereits beendet, da wegen den Temperaturen nicht alle Tiere in ihren Gehegen sind. Wir entschließen uns, noch einen Kakao in einem nahe gelegenen Diner zu trinken. Doch die Mädchen sind jetzt ziemlich erledigt und beginnen zu frieren, so dass wir das heiße Getränk eher hinunterschlingen als zu genießen. Wir verabschieden uns und während mir Christopher einen Kuss auf die Wange drückt, dass ich total weiche Knie bekomme, drückt er mir einen Zettel in die Hand. Eigentlich ist mir danach, ihm zu seinem Auto zu folgen und ihm einen richtigen Kuss zu geben, doch ich beherrsche mich. Nichts überstürzen, Nicky, es soll doch funktionieren! Auf dem Nachhauseweg lese ich den Zettel:
„Meine Handynummer haben nur drei Menschen: mein Bruder, meine Mutter und der Kindergarten von Sarah. Ich möchte, dass Du Nummer vier wirst.“
Ich muss lächeln.

Am Abend besprechen Nina, Marcus und ich die nächsten Wochen. Ich hatte ja eigentlich von Anfang an geplant, nur zwei oder maximal drei Wochen bei ihnen zu bleiben, um dann von Toronto aus weiterzureisen, da sie ihre Familien in Deutschland über Weihnachten und Silvester besuchen werden.
„Nicky, was hältst Du davon, wenn Du unser Housesitter wirst, bis wir wieder da sind?“
Ich schaue ihn mit großen Augen an. „Euer was?“
„Gib’s doch zu, Du willst jetzt mit Sicherheit nicht in der Weltgeschichte rumreisen, wo Du doch gerade dabei bist, Dich so richtig zu verlieben, hab ich recht?“ lächelt mich Nina von der Seite an.
In mir steigt Hitze auf – mein Kopf ist jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit mal wieder eine Tomate.
„Naja, ich hab schon darüber nachgedacht, noch ein paar Tage hier zubleiben.“
„Na also! Wir vertrauen Dir voll und ganz unser Haus an und Du kannst mir glauben: da fühl ich mich gleich wohler, wenn ich nach Deutschland fliege. Schließlich lassen wir das hier immer drei Wochen allein und man weiß ja nie.“
Kurz vor dem Einschlafen überlege ich, Christopher eine SMS zu schreiben, aber was soll ich ihm eigentlich schreiben? Ist es zu aufdringlich ihm zu sagen, dass ich noch eine Weile in Toronto bleiben werden? Oder soll ich ihn nach einer weiteren Verabredung fragen? Aber irgendetwas muss ich ihm schreiben, denn ich möchte, dass er auch meine Handynummer hat.
„Hi Christopher! Danke für das schöne Wochenende! Ich hoffe, wir können das mal wiederholen. Schlaf gut und Kuss an Sarah! Nicky“
Ja, müsste gehen, denke ich und lege das Handy beiseite. Keine zwei Minuten später leuchtet das Display auf:
„Ich habe Dir zu danken. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß wie an diesen beiden Tagen! Wiederholung bitte so schnell wie möglich! Sarah schickt einen Kuss zurück. Chris.“
Lächelnd drehe ich mich auf die Seite und will gerade die Augen schließen, als das Handy erneut aufblinkt.
„…und ich auch!“
Ich lege meine Stirn in Falten. Was meint er denn mit ‚und ich auch’. Doch dann dämmert es mir. Was hat er in der ersten SMS geschrieben? ‚Sarah schickt einen Kuss zurück’. Ja, das macht Sinn und mein Lächeln wird zu einem regelrechten Grinsen.

In den nächsten Tagen helfe ich Nina bei den Vorbereitungen für ihren Urlaub in der alten Heimat. Marcus zeigt mir, wie ich zum Supermarkt oder in die City komme, erklärt mir kurz das Auto, damit ich mich auch frei bewegen kann und wir machen ein paar Probefahrten. Am Freitag Nachmittag bringe ich die drei zum Flughafen. Marcus lässt mich gleich fahren, damit er mir zur Not noch helfen kann, aber es läuft alles ohne Probleme. Kaum habe ich mich von den dreien verabschiedet und bin wieder auf dem Weg zum Auto, als mein Handy klingelt: Christopher. Mein Herz beginnt leicht zu schlagen.
„Hallo?“
„Hallo Nicky! Was machst Du gerade?“
Ich muss lächeln. Hat er Langeweile? Noch bevor ich antworten kann, beantwortet eine lautstarke Durchsage seine Frage.
„Ah, Du hast die drei zum Flughafen gebracht. Sag mal, hast Du Lust, mit mir einen Kaffee trinken zu gehen? Jacob und ich machen gleich Feierabend und da er auch keine Hausbesichtigung heute mehr hat, wollte ich die Chance nutzen, Euch beide bekannt zu machen.“
Ich schaue auf die Uhr. „Das klingt nach einer tollen Idee. Wo wollen wir uns denn treffen?“
Christopher gibt die Frage an Jacob weiter, allerdings kann ich seine Antwort nicht verstehen.
„Jep, klingt nach 'nem Plan.“ höre ich Christopher. „Nicky? Jacob schlägt vor, dass wir Dich am besten bei Dir abholen. Er meint, es wäre für Dich nicht so einfach, in die Innenstadt zu fahren, oder?“
Innerlich atme ich erleichtert auf. Genau das hatte mir nämlich gerade ziemliche Sorgen gemacht.
„Klingt perfekt. Ich müsste in ca. 45 Minuten zu Hause sein. Wie wär’s, wenn Ihr in ner Stunde kommt?“
„Alles klar, ich freu mich.“ Und schon hat er aufgelegt, noch bevor ich etwas erwidern konnte.

Auf dem Weg zurück hab ich nicht wirklich Zeit, mir Gedanken über etwas anderes als den Verkehr zu machen. Es ist die Hölle und obwohl ich eine gute Autofahrerin bin, schwitze ich Blut und Wasser. Als ich endlich den Motor in der Auffahrt ausschalte, lehne ich mich erst einmal im Sitz zurück, schließe die Augen und atme aus. Das wäre geschafft. In den nächsten drei Wochen werde ich das Auto nur zum Einkaufen nutzen, das ist mal klar. Ein Klopfen gegen die Fensterscheibe lässt mich aufschrecken. Ich drehe mich zur Seite und schaue in die faszinierendsten Augen, die ich je gesehen habe: blau, groß, wie ein See, in dem man zu versinken droht. Braune, mittellange Haare mit blonden Strähnen, ein Dreitagebart sowie ein Anflug eines Lächelns machen dieses Gesicht komplett. Innerhalb von Sekunden ist mein ganzer Körper wie gelähmt. Wer ist dieser geheimnisvolle Fremde?

Er öffnet die Tür und hilft mir galant aus dem Auto.
„Hi, ich bin Jacob, Christopher’s Bruder.“
Er nimmt mich gleich in den Arm und küsst mich auf die Wange. Ich bin leicht irritiert von dieser stürmischen Begrüßung, tue es aber damit ab, dass es wahrscheinlich einfach seine Art ist.
„Du bist Christopher’s Bruder? Ich muss gestehen, dass Ihr Euch so gar nicht ähnelt.“
Jacob lacht und dieses Strahlen über sein Gesicht ist atemberaubend. „Ja, das bekommen wir oft zu hören. Ich komme mehr nach unserer Mutter, Christopher eher nach unserem Vater. Er konnte Dich übrigens nicht selbst abholen, da ein wichtiger Kunde kurz vor Feierabend noch reingeschneit kam. Er wartet im Café auf uns. Ich und Sarah sind Dein Geleitservice.“
Im Auto winkt mir die Kleine aufgeregt zu.
„Ich muss nochmal kurz ins Haus. Gib mir fünf Minuten.“ sage ich und mache auf dem Absatz kehrt.
„Das will ich sehen!“ neckt mich Jacob und geht zum Wagen.
Ich renne in mein Zimmer, schnappe mir ein anderes Oberteil, ziehe mich in Windeseile im Bad um, während ich parallel versuche, meinem Gesicht etwas Farbe zu verleihen. Noch ein letzter Check in den Spiegel und ich flitze wieder nach unten. Kurz bevor ich die Tür öffne, atme ich zweimal tief ein und aus, damit sich mein Puls beruhigt und gehe dann hinaus. Ich sehe seinen Blick durch die Scheibe und ich habe das Gefühl, er mustert mich von oben bis unten, was mir etwas Unbehagen verursacht. Als ich einsteige, schaut er mich mit großen Augen an.
„Das ist mir ja echt noch nie passiert. Eine Frau will sich in fünf Minuten fertig machen und schafft es auch fast. Ich hatte jetzt eher mit mindestens mit einer halben Stunde gerechnet. Naja, wenn man von Natur aus wunderschön ist, braucht man auch nichts mehr zu verbessern!“
Ich bin völlig perplex. Hab ich das eben richtig gehört? Er bringt mich damit komplett aus der Fassung, aber ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen, obwohl ich die Hitze in mir aufsteigen merke. Jetzt bloß nicht rot werden, bloß nicht rot werden, Nicky!
„Danke für das Kompliment, aber ich war schon immer schnell, was das betrifft.“

Er startet den Motor und wir machen uns auf den Weg in die City. Ich spüre immer wieder Jacob’s Blicke auf mir ruhen und ich werde leicht nervös. Er hat etwas an sich, was mich leicht aus der Fassung bringt. Ich bin mehr als erleichtert, als wir endlich das Auto parken und das Café erreicht haben. Um mich abzulenken, kümmere ich mich um Sarah, die etwas unbeholfen an ihrem Sicherheitsgurt zuppelt.
„Warte, ich helf’ Dir, Sarah!“
Ich öffne den Gurt, hebe sie aus dem Wagen und als ich mich umdrehe, um sie auf den Boden zu stellen, steht Jacob direkt vor mir. Ich komme weder links noch rechts an ihm vorbei und er macht keine Anstalten, sich zu bewegen. Mein Puls rast, meine Hände werden feucht, als ich ihm in die Augen schaue.
„Ähm, Jacob, könntest Du bitte einen Schritt zur Seite gehen? Sarah ist nicht die leichteste.“ lächle ich ihn an und hoffe, meine Nervosität somit etwas zu verstecken.
„Oh, sicher doch. Ich wollte in Deiner Nähe sein, falls Du vielleicht Hilfe brauchst.“
„Danke, aber das schaff ich schon.“
Während er das Auto abschließt, richte ich Sarah’s Jacke und nehme sie an die Hand. Auf dem Weg zum Café läuft Jacob sehr nah neben mir und wie zufällig berühren sich immer wieder unsere Hände. Ich weiß nicht, wie ich mein Bauchgefühl deuten soll – mein Kopf hat diesmal absolut nichts mehr zu melden. Als er mir die Tür aufhält und ich hinter Sarah in das Café eintrete, bin ich mehr als erleichtert: Christopher ist bereits da und wartet auf uns. Jetzt noch eine Weile im Beisein von Jacob auf ihn warten zu müssen, hätte ich nicht durchgestanden.
„Na, Bruderherz, ich hoffe, Du hast Dich Nicky gegenüber anständig benommen?!“ witzelt Christopher und Jacob grinst nur.

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