Kapitel 25

Ich renne die Treppe nach unten und suche wie verzweifelt die noch geschlossene zweite Flasche Sirup. Verdammt, wo hab ich die denn jetzt wieder hingeräumt, geht es mir durch den Kopf. In Gedanken zähle auch ich die Sekunden und bin mittlerweile bei sechs angekommen. Dann endlich – der Sirup fällt mir in die Hände und ich flitze wieder nach oben.
„Zehn!“ ruft er mir entgegen, als ich die Tür öffne.
Völlig außer Atem grinse ich ihn an. „Versprochen ist versprochen.“
Ich wedele viel sagend mit der Flasche in meiner Hand und Christopher klopft mit einer Hand auf die Stelle neben ihm im Bett. Er hat es sich bereits bequem gemacht und lehnt mit seinem Rücken am Bettende.

Kaum sitze ich neben ihm, nimmt er mir die Flasche aus der Hand und fährt vorsichtig mit seinen Fingern unter das Hoodie.
„Hilfst Du mir nochmal?“ schaut er mich wie ein kleiner Junge an und ich kann diesem Blick absolut nicht standhalten.
Ich habe das Kleidungsstück noch nicht mal richtig über den Kopf gezogen, als ich auch schon etwas Kaltes zwischen meinen Brüsten ganz langsam nach unten gleiten spüre und gleich darauf Christopher’s Zunge. Vom Bauchnabel arbeitet er sich nach oben und vergisst dabei nicht den kleinsten Tropfen des süßen Nektars. Dann träufelt er mir ein paar Tropfen auf meinen Nacken und diese Berührung lässt mich regelrecht erschauern. Als letztes lehnt er meinen Kopf nach hinten und gießt etwas auf meine Lippen, um gleich darauf alles mit seiner Zunge und seinen Lippen durch einen Kuss aufzusaugen. Ich nehme ihm die Flasche aus der Hand und beginne bei ihm, wobei ich mich seinen kräftigen Oberarmen und seinem Hals widme – sein Sixpack bleibt mir ja aufgrund des Verbands leider verwehrt. Als auch ich als letztes an seinen Lippen angelangt bin, nimmt er mir die Flasche aus der Hand, stellt sie auf den Nachttisch und zieht mich zu sich auf den Schoß und ein zweites Mal schlafen wir miteinander. Wir beide bekommen einfach nicht genug voneinander.

Wir bleiben bis zum frühen Nachmittag im Bett, liegen nebeneinander und genießen die Zweisamkeit. Wir bestellen uns was beim Thailänder und nach nicht mal einer halben Stunde sitzen wir beide im Schneidersitz auf der Decke und sind mit Stäbchen und Serviette bewaffnet.
„Bleibst Du jetzt für immer bei mir, Nicky?“ fragt mich plötzlich Christopher und ich verschlucke mich fast an meinen gebratenen Nudeln.
„Ähm… ich… willst Du das denn?“ schaue ich ihn mit großen Augen an.
„Nichts auf der Welt möchte ich mehr. Du hast mein Leben und das von Sarah wieder komplett gemacht.“
Ich stelle mein Essen zur Seite. „Aber um ehrlich zu sein, Christopher, habe ich ein bisschen Angst, gleich bei Dir einzuziehen. Ich meine, wir kennen uns noch nicht so lange und… naja… ich weiß auch nicht. Ich glaube, ich brauch noch eine Weile. Ich will natürlich bei Dir bleiben, denn ich liebe Dich über alles, aber ich denke, ich werde mir erst einmal eine Wohnung in der Nähe suchen, bis wir uns wirklich sicher sind. Und einen Job werde ich mir dann wohl auch suchen müssen.“

Auch Christopher stellt seine fast schon leere Thai-Box auf den Nachttisch neben sich und nimmt meine Hand.
„Weißt Du, ich denke, dass ich da bereits eine Lösung habe – aber nur, wenn Du möchtest. Du musst Dich zu nichts verpflichtet fühlen, hörst Du?“
Mehr als nicken kann ich nicht – was kommt denn jetzt?
„Als ich den Männerabend mit Jacob vor zwei Tagen hatte, bevor er geflogen ist, haben wir uns über die Zukunft unterhalten. Naja, und dabei kam uns eine Idee.“
Er stockt und mustert mich.
„Eine Idee?“ frage ich. „Und die wäre?“
Ich kann es nicht erwarten, bis er das Geheimnis um diese Idee lüftet.
„Jacob sagte mir, dass es früher oder später mit Sicherheit dazu käme, dass Du zu mir ziehst und er mir ja bereits ansieht, dass ich es auch möchte. Witzigerweise hat er aber auch gesagt, dass Du das bestimmt nicht jetzt gleich willst. Wir haben hin- und herüberlegt. Marcus und Nina spielen darin auch eine Rolle.“
Meine Augenbraue geht nach oben, ich richte mich kerzengerade auf. „Mar… Marcus und Nina?“
„Ja, Nicky, genau die. Wir haben vereinbart, dass sie ihr jetziges Haus als Anzahlung für das neue Haus nutzen, so dass es dann unserer Firma gehört, bevor wir es weiterverkaufen werden. Wie wäre es denn, wenn Du einfach dort einziehst und es so lange Dein Eigen nennst, bis Du Dir sicher bist, was uns beide anbelangt.“
Meine Kinnlade geht augenblicklich nach unten. „Das habt Ihr beide besprochen? Ihr habt über meine Zukunft gesprochen?“
„Hätten wir das nicht tun sollen, Schatz?“ schaut er mich ängstlichem Blick an.
Ich nehme seinen Kopf in meine Hände und küsse ihn.
„Nein, nein, so meine ich das nicht! Ich kann einfach nur nicht fassen, dass Ihr Euch beide, also Du und Jacob, Gedanken über eine Zukunft mit mir macht, dass Ihr Euch beide eine Zukunft vorstellt, in der ich vorkomme. Aber dadurch geht Euch doch, wenn auch nur vorübergehend, Geld verloren, als wenn Ihr das Haus sofort verkaufen würdet oder nicht.“
Christopher schmunzelt. „Naja, Jacob und ich haben das ganze etwas anders geplant. Oder sagen wir, Jacob allein hat den Vorschlag gemacht. Wenn Du Dir Deiner Sache sicher bist und zu mir ziehen willst, will Jacob ausziehen und…“
Ich schüttele energisch den Kopf. „Ich will ihn nicht aus seinem Zuhause treiben, Chris, das könnte ich…“
„Hey, hey, lass mich ausreden!“ schneidet mir Christopher das Wort ab und lächelt. „Jacob selbst hat den Vorschlag gemacht. Er würde dann ausziehen und in das jetzige Haus von Marcus und Nina ziehen. Hat auch sein Gutes: er müsste dann endlich mal auf eigenen Füßen stehen.“ Er lacht herzhaft. „Und außerdem: wenn er mal wieder eine Eroberung mit nach Hause bringt, braucht er sich bezüglich des Geräuschpegels und Sarah keine Sorgen zu machen.“
„Christopher, ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ stottere ich. „Dass Du Dir zusammen mit Jacob solche Gedanken gemacht hast, das ist… keine Ahnung… das…“
Meine Augen füllen sich mit Tränen und Christopher nimmt mich in den Arm.
„Schatz, ich möchte Dich bei mir haben und Jacob weiß das ganz genau und er hat mir gesagt, dass er uns beiden absolut nicht im Weg stehen will. Und außerdem: Sarah sieht Dich schon als ihre neue Mutter. Das ist für mich der beste Beweis, dass Du die richtige bist.“
Ich rutsche ganz dicht an ihn und vergrabe mich in seiner Umarmung. „Ich… ich liebe Dich, Christopher Lawson!“
Er küsst mich auf die Stirn und für einen Moment ist es still.

„Sag mal, Nicky, was hast Du eigentlich in Deutschland beruflich gemacht?“
Ich muss lächeln. Knapp zwei Monate kennen wir uns jetzt und diesbezüglich ist noch nie ein Wort gefallen.
„Ich war Sekretärin, zuerst in einer Werbeagentur, dann in einer Bank und zum Schluss in einer Anwaltskanzlei. Ich hab also schon so einige Branchen durch.“
„Hhhmm“, brummt er in mein Ohr. „Weißt Du, unsere Sekretärin Josie ist schwanger und wir brauchen dringend eine Vertretung, bis sie wieder zurückkommt. Hättest Du nicht Lust? Im Endeffekt musst Du nichts über die Immobilienbranche wissen. Es geht eher darum, dass Du die Termine im Auge behältst – vor allem die von Jacob – und die Kunden betreust. Josie ist noch ein paar Wochen da, sie könnte Dir bei der Einarbeitung helfen. Aber nur, wenn Du es auch wirklich willst. Natürlich kannst Du Dir auch selbst einen Job suchen, der Dir gefällt.“

Ich überlege eine Weile. „Klingt eigentlich ganz vernünftig. Ich hoffe nur, dass ich mit den Chefs zurande komme!“ grinse ich ihn an. „Ist Josie auch jetzt schon im Büro, obwohl Ihr noch geschlossen habt?“
„Ja“, antwortet Christopher. „Sie kommt im Moment dreimal die Woche, um den Papierkram zu erledigen, der sich ja trotz allem anhäuft. Wir können Sie gern mal besuchen und ich mache Euch beide bekannt.“
„Christopher, mir scheint, Du und Jacob habt schon über mein komplettes weiteres Leben bestimmt. Aber… ich find’s toll! Ach ja, noch was: was würde mich denn das Haus monatlich an Miete kosten?“
Er schaut mich überrascht und irritiert an. „Miete? Du zahlst uns doch keine Miete!“
Ich löse mich aus seiner Umarmung und schaue ihn ernst an.
„Christopher, ich werde in einem Haus wohnen, was Euch gehört. Ich werde dafür Miete zahlen und wenn Du Dich auf den Kopf stellst.“
Beschwichtigend hebt er die Hände und schmunzelt.
„Okay, okay, wenn Du unbedingt Geld an uns loswerden willst, werde ich Dich nicht davon abhalten. Über die Höhe können wir uns ja noch einigen, wenn es soweit ist. Zuerst einmal wohnst Du ja sowieso als Krankenschwester bei mir und dann werden wir sehen, wie schnell Marcus und Nina ins neue Haus wollen. Sobald sie wieder da sind, müssen wir ja noch zum Notar gehen und alles unter Dach und Fach bringen. Die werden sich bestimmt über die Nachmieter freuen.“

Wir haben so lange gesprochen, dass wir gar nicht bemerkt haben, wie schnell die Zeit vergangen ist. Langsam beginnt es bereits zu dämmern und ich schaue über Christopher auf seinen Wecker – halb fünf Uhr.
„Wir sollten langsam aufstehen. Ich denke, ich werde Sarah holen, damit sie Rosie nicht bis zum äußersten in Beschlag nimmt.“
Er nickt. „Kannst Du mir vorher noch beim Anziehen helfen? Du weißt doch, gewisse Sachen bedürfen noch etwas Unterstützung.“
Über mein Gesicht zieht sich ein breites Grinsen. „Ich weiß, Schatz. Ich verschwinde schnell im Bad und bin dann voll und ganz für Dich da.“

Christopher geht später ins Wohnzimmer, während ich in meine Boots und meine Jacke schlüpfe, um ein paar Häuser weiter Sarah abzuholen.
„Nicky, wärst Du so lieb und nimmst die leeren Boxen aus dem rechten unteren Küchenschrank mit, wo Rosie draufsteht? Das vergesse ich jedes Mal, wenn sie vorbeikommt oder ich sie besuche.“
„Mach ich, Chris.“
Ich öffne die Tür des Fachs, was mir Christopher genannt hat und mir kommen nicht nur zwei, sondern fünf Schachteln entgegen.
„Sag mal, Chris, hast Du Rosie’s Boxen gesammelt oder versorgt sie Dich so gut mit essen?“ rufe ich ihm lachend ins Wohnzimmer.
„Sie hat es halt immer gut gemeint und da sie weiß, wie gern Sarah ihren Apfelkuchen mag, hat sie des öfteren welchen vorbeigebracht.“
Ich schnappe mir einen Korb, packe alles hinein und öffne die Tür.
„Bis gleich und stell bloß nichts an, ja?“
„Versprochen, Schwester Nicky!“

Auf dem Weg zu Rosie muss ich über Christopher’s Worte und den Vorschlag, nein, die Vorschläge nachdenken. Dass auch Jacob sich so um unsere Zukunft sorgt und Gedanken gemacht hat, finde ich sehr rührend. Obwohl er sich anscheinend um 180 Grad gedreht hat, seitdem er weiß, dass Christopher und ich uns lieben, hätte ich nie damit gerechnet. Was wird wohl Marcus dazu sagen, wenn ich jetzt endlich nach so vielen Jahren wieder in seiner Nähe wohne. Ich hoffe inständig, dass er sich freut, wobei ich mir da eigentlich keine Sorgen machen muss.

„Hallo, Nicky! Sie wollen Sarah abholen?“ begrüßt mich Rosie freudestrahlend.
„Wenn Sie die Kleine entbehren können, ja.“ lächle ich sie an.
Ich kann verstehen, warum Sarah und auch Christopher sie so sehr mögen.
„Wir trinken gerade Kakao und testen unseren Apfelkuchen. Möchten Sie auch ein Stück?“
Nickend trete ich ein. „Sehr gerne, danke!“
Sarah sitzt am Küchentisch, ihre Beine baumeln unter dem Tisch hervor und sie hat einen Kakaobart, der mich zum lachen bringt.
„Hallo, Nicky! Ich habe ganz viel alleine gemacht. Du musst den Kuchen unbedingt probieren.“ strahlt sie mich an.
„Sarah, Liebes, bist Du bitte so gut und holst noch einen Teller aus dem Wohnzimmerschrank?“ bittet Rosie.
Sie setzt neuen Kaffee auf und schaut mich dann an. „Sie tun ihr und ihrem Vater sehr gut.“
Ohne Vorwarnung sagt sie diesen Satz und ich bin sehr überrascht. Sie hat mich gerade mal eine gute halbe Stunde heute morgen gesehen und jetzt das. Rosie scheint meinen Blick zu verstehen.
„Wissen Sie, Nicky, ich habe eine gute Menschenkenntnis und außerdem kenne ich Sarah und Christopher schon sehr lange – eigentlich seit Sarah’s Geburt, so dass ich sehen kann, wenn es den beiden gut geht und wann nicht. Und heute morgen bei Ihnen zu Hause – Christopher und die Kleine haben Sie angestrahlt und Sarah hat heute Nachmittag auch so viel von Ihnen gesprochen. Was mir wirklich gezeigt hat, dass Sie die richtige für diese kleine Familie sind, war ein Satz von ihr.“
Sie überlegt kurz. „Hhhmm, wie hat sie sich doch gleich ausgedrückt? Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder. ‚Daddy hat Nicky unheimlich lieb und ich auch und wir beide wollen, dass sie meine Mami wird. Ich habe sie gefragt und sie möchte es auch.’ Wissen Sie, das hat mir fast Tränen in die Augen getrieben. Ich kannte Jessica und nach ihrem… Naja, obwohl Christopher versucht hat, eine Mutter für die Kleine zu finden, war die richtige nie dabei. Bis jetzt.“
Rosie nimmt mich in die Arme und ich muss mich zusammen reißen, nicht in Tränen auszubrechen. In diesem Moment kommt Sarah ins Zimmer und ich schlucke schnell meinen Kloß im Hals runter.
„Na los, jetzt musst Du probieren.“

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