Kapitel 34

Um die Stimmung etwas aufzulockern, schalte ich mich ein.
„Wenn wir schon mal hier sind und die Frauen sich mal wieder nicht von Schuhen losreißen können… Wie wär’s, wenn wir uns hier ein bisschen umschauen. Ich wollte mir auf alle Fälle eigene Schlittschuhe zulegen und – es ist zwar noch nicht ganz die Jahreszeit –, aber ich wollte mir auf alle Fälle auch ein Fahrrad kaufen.“
Jetzt erst realisieren die beiden Brüder, in welchem Laden wir sind, denn sie schauen sich mit großen Augen um. Anscheinend nicht nur für Sarah ein Paradies.
„Gute Idee. Jay, wie wär’s, wenn Du Nicky bei den Schlittschuhen berätst und ich schau mal, was sie zur Zeit an Rädern anbieten.“
Wir bleiben fast eine ganze Stunde und zum Schluss bin ich stolze Besitzerin eines tollen Mountainbikes. Eigentlich wollte ich auch noch die Schlittschuhe mitnehmen, aber das die Saison fast vorbei ist, hat mir Jacob davon abgeraten.

Als wir am Abend zu dritt im Wohnzimmer sitzen und Sarah schläft, entschuldigt sich Jacob nochmal bei Christopher – und auch bei mir.
„Sorry, dass ich Euch den Nachmittag ruiniert habe.“
Christopher und ich grinsen uns an, was Jacob nicht entgeht.
„Oder hatte ich Glück und… naja… hab ‘nen günstigen Zeitpunkt erwischt?“
Mehr als ein Augenzwinkern bekommt er nicht als Antwort von uns. Ich wechsele das Thema.
„Was ist eigentlich jetzt mit Claudia? Bleibt es bei morgen?“
Jacob nickt. „Ich habe nichts gegenteiliges gehört, also ja.“

Am nächsten Morgen ist Jacob bereits so früh wach, dass er für uns das Frühstück macht. Sarah wird pünktlich abgeholt und ich fahre einkaufen, während Christopher und Jacob zu Hause bleiben. Als ich wiederkomme, springt Jacob gerade im schicken Outfit in sein Auto und grinst sich einen ab. Ich kann ihm gerade noch ‚Viel Spaß’ wünschen und dann rauscht er auch schon davon. Am Nachmittag fahren Christopher und ich ins Krankenhaus, denn endlich kommt der Gips ab. Dr. Richardson ist sehr zufrieden und auch nach dem Röntgen gibt er sein offizielles Okay. Die Krankenschwester zeigt uns noch ein paar Übungen, da Dr. Richardson der Meinung ist, dass eine richtige Krankengymnastik nicht notwendig ist und zwei Stunden später sind wir wieder zu Hause.

Gerade, als wir die Tür schließen wollen, kommt auch Jacob in die Auffahrt gefahren. Er strahlt über’s ganze Gesicht – nach fünf Stunden bei einem Dankeskaffee scheint es ja gut gelaufen zu sein.
„Na, wie war’s, Bruderherz?“
„Nett“, antwortet Jacob.
Ich boxe ihn in die Seite. „Was is’n das für ne Antwort! Nett – jetzt sag schon!“
Er druckst rum. „Naja, sie ist voll nett, hat einen tollen Humor und wir waren sofort auf einer Wellenlänge.“
Ich ziehe mal wieder meine Augenbraue hoch. „Und wie geht’s jetzt weiter?“
„Wie wohl?! Sie hat mir von Eurem Termin morgen erzählt und dann ganz vorsichtig gefragt, ob ich auch komme. Sie war total schüchtern bei der Frage, was ich so was von süß fand.“
Ein kurze Pause tritt ein.
„Ja und? Was hast Du geantwortet?“ fragt Christopher nach.
„Ich meinte, dass ich ja eigentlich nicht gebraucht werde, aber wenn sie es möchte, kann ich schon mal vorbeischauen. Ich hab ihr ja erzählt, dass ich Nina und Marcus das Haus verkauft habe.“
„Perfekt!“ klatsche ich in die Hände. „Dann brauchen Nina und ich ja kaum noch was machen.“
Jacob nimmt mich in den Arm. „Naja, so ein bisschen weibliche Unterstützung kann nie schaden. Irgendwie… ach, ich weiß auch nicht…“
„Aber ich weiß es!“ erwidert Christopher. „Meinen kleinen Bruder hat’s so richtig erwischt und jetzt hat er Angst, was falsch zu machen! Stimmt’s oder hab ich recht?“
Wir drei müssen lachen. Ich kann nicht glauben, dass Jacob seine Gefühle so schnell neu sortieren konnte, aber ich bin glücklich darüber.

Nina holt mich pünktlich am Mittwoch Vormittag ab. Jacob schicken wir ins Büro, wo er auf unseren Anruf warten soll, denn wir haben beschlossen, den eigentlich Plan beizubehalten. Als wir am Haus ankommen, wartet Claudia bereits am Eingang auf uns. Sie gibt Nina und mir die Hand.
„Freut mich, Sie beide kennen zu lernen. Ich war so frei und hab mir das Haus schon mal von außen angeschaut. Sie haben einen sehr guten Geschmack, das muss ich schon sagen. Wenn es drinnen genau so toll ist, dann kann ich Ihnen nur gratulieren.“
Wie auch Nina und ich gleich von Anfang an ist auch Claudia absolut begeistert.
„Haben Sie vielleicht die Maße der einzelnen Räume, so dass wir besser einkaufen gehen können?“
Wir beide schauen uns an – natürlich gespielt irritiert.
„Oh, leider nicht.“ antwortet Nina. „Die Unterlagen sind alle bei meinem Mann.“
„Ich könnte ja Jacob anrufen“, sage ich zu Nina. „Ich weiß, dass er heute im Büro ist. Vielleicht kann er uns eine Kopie vorbeibringen.“
Aus dem Augenwinkel kann ich ein leichtes Lächeln in Claudia’s Gesicht sehen. Bingo! Ich zücke mein Handy und bestelle Jacob.

Keine halbe Stunde später steht er auf der Matte. Nina und mich begrüßt er eher beiläufig und geht dann direkt zu Claudia.
„Ich hab gehört, Sie brauchen noch ein paar Unterlagen?“
Sie nickt und als ihr Jacob die Mappe gibt, berühren sich ihre Hände. Beide verharren für ein paar Sekunden und scheinen die Welt um sich herum zu vergessen. Nina stößt mich leicht an und flüstert mir ins Ohr.
„Scheint gut zu laufen.“
Ich nicke nur und deute ihr mit einem Kopfnicken, dass wir die beiden allein lassen sollten. Wir gehen hinaus in die warme Februarsonne.
„Sie ist sehr nett, oder was meinst Du, Nicky?“
„Ja, sie kam schon am Wochenende sehr sympathisch rüber und da hatte ich noch nicht mal ein Wort mit ihr gewechselt.“
Nina hakt nach. „Und wie geht’s Dir dabei?“
Ich schaue sie irritiert an. „Was meinst Du damit? Ich freu mich für ihn.“
„Naja, ich meinte jetzt nicht, ob Du eifersüchtig bist oder so was. Ich meinte, dass Du doch jetzt ziemlich erleichtert sein musst, dass… naja, dass Jacob sich jetzt auf jemand anderen konzentriert, nach dem ganzen Stress, den Ihr beide hattet.“
„Achso“, nicke ich. „Ja, das war mein erster Gedanke, als ich das Glänzen in seinen Augen gesehen habe. In diesem Moment wusste ich, dass ich jetzt… wie soll ich sagen… aus seinen Gedanken diesbezüglich verschwunden bin. Ich hoffe nur inständig, dass Claudia auch das gleiche für ihn empfindet. Ich glaube, eine zweite Abfuhr in so kurzer Zeit würde ihn sicherlich umbringen.“
In diesem Moment kommen die beiden aus dem Haus und das Strahlen in Claudia’s Lächeln lässt meine Sorgen verschwinden.

Wir verabschieden uns von Jacob und fahren in die Innenstadt. Claudia hat sich bereits einen Plan gemacht, den sie auf dem Weg zu den einzelnen Geschäften mit Nina bespricht. Diese flippt förmlich aus bei den Ideen.
„Ich frag mich nur, wie ich das Mac beibringen soll, dass ich die Wohnung fast komplett neu einrichten will.“ Wir lachen.
„Ich denke“, beruhige ich sie, „Mac wird dafür Verständnis haben. Du musst ja nicht jede Ecke neu machen, schließlich habt Ihr ja noch ne Menge Möbel, die sicher auch gut ins Gesamtbild passen.“
Claudia hat tolle Inspirationen und passt aber gleichzeitig gut auf Nina’s Geldbeutel aus. In fast jedem Laden werden wir fündig und da Claudia zu den meisten Geschäften gute Beziehungen hat, kann Nina teilweise sogar auf Raten kaufen. Die Möbel werden alle in ca. zwei Wochen geliefert, so dass wir parallel den Umzug schon in Angriff nehmen können.

Nach einem fast vierstündigen Shoppingmarathon lassen wir uns erschöpft in einem Café nieder und gönnen uns eine Stärkung.
„Claudia, ich bin Ihnen so dankbar für Ihre Ideen und Ihre Hilfe!“ sprudelt es aus Nina hervor. „Ich hätte mich teilweise nie getraut, solche Möbel zu kaufen, aber wenn ich mir jetzt alles zusammen vorstelle, wird es fantastisch sein.“
„Das ist doch mein Job, Nina, aber es freut mich, wenn Sie mit meiner Arbeit zufrieden sein.“
Nina winkt ab. „Zufrieden? Das ist noch untertrieben! Ich kann’s gar nicht erwarten, alles einzurichten und Marcus’ Gesicht zu sehen!“
Nach dem Essen verschwindet Nina kurz. „Das ist so einer der Nachteile, wenn man schwanger ist. Man sucht in einem Restaurant oder Café immer zuerst das Schild für die Toilette.“ Wir müssen lachen.

Kaum ist Nina weg, richtet Claudia das Wort an mich.
„Nicky, darf ich Sie mal was fragen?“
Insgeheim hatte ich schon irgendwie auf so etwas gewartet.
„Klar, schießen Sie los.“
„Naja, es ist mir eigentlich etwas unangenehm, aber… Sie sind eine gute… wie soll ich sagen… Gelegenheit.“
Ich schaue sie leicht fragend an. „Was meinen Sie?“
Sie druckst herum. „Naja… es ist… ich weiß nicht… Jacob… Können Sie mir etwas von ihm erzählen?“
Ich muss schmunzeln. „Was möchten Sie denn wissen? So lange kenne ich ihn auch noch nicht.“
Sie schaut überrascht. „Aber Sie sind doch die Freundin von seinem Bruder und wohnen bei ihnen.“
„Das schon, aber das ist eine etwas längere Geschichte. Im Endeffekt kenn ich die beiden erst seit knapp drei Monaten.“
Ich erzähle ihr, wie ich die Familie Lawson kennen gelernt habe, lasse aber gewisse Vorfälle aus – das sind Dinge, die selbst ich nicht mehr hören will.
„Wow!“ bringt sie hervor, als ich fertig bin. „Ist ja krass. Und… naja… was halten Sie von Jacob?“
„Um ganz ehrlich zu sein, Claudia – er ist ein herzensguter Mensch, auf den man sich verlassen kann. Klar, jeder hat so seine Eigenheiten, aber ich kann Ihnen versichern, dass seine positiven Seiten die negativen ganz schnell vergessen lässt.“
„Können Sie mir nicht eine negative Seite an ihm verraten?“
Ich überlege. „Also, ich will Jacob nicht in den Rücken fallen, aber… Sie sollten ihn, falls Sie ihn mal früh morgens antreffen, nicht mit Fragen oder ähnlichem löchern – er ist der absolute Morgenmuffel!“
„Ha, das ist gut, dann haben wir ja schon eine Sache gemeinsam.“
Meine Mundwinkel wollen nach oben wandern, aber ich verkneife mir ein Grinsen. Die beiden scheinen sich wirklich verliebt zu haben, aber keiner weiß es so richtig vom anderen.

„Wisst Ihr, was ich mir gerade überlegt habe?“ kommt Nina angebraust.
Claudia und ich lächeln uns an.
„Du hattest wohl wieder mal ‘nen Geistesblitz auf’m Klo, Nina? Scheint Dir in letzter Zeit öfters zu passieren, wie ich von Mac gehört habe!“
Sie verdreht übertrieben die Augen. „Dieser Kerl kann aber auch nichts für sich behalten! Wie auch immer: ich will unbedingt ein großes Barbecue machen, für die neuen Nachbarn und natürlich alle, die uns bei dem Haus geholfen haben, also auch unsere Immobilienmakler und natürlich Sie, Claudia. Aber dazu brauchen wir noch ein paar Extra-Möbel. Die Terrasse muss genauso toll werden wie die Inneneinrichtung.“
„Ähm, vielen Dank für die Einladung, aber ich weiß nicht, ob ich wirklich kommen soll. Ihre Immobilienmakler gehören ja mehr oder weniger zur Familie, aber ich…“
Ich falle ihr ins Wort. „Keine Widerrede. Sie kommen. Vielleicht können Sie so auf die ein oder andere Weise noch ein paar Aufträge an Land ziehen. Sehen Sie es von dieser Seite.“
Claudia überlegt kurz und nickt dann. „Sie haben wahrscheinlich recht.“
Nina und ich zwinkern uns zu, denn wir denken das gleiche: vielleicht gehört sie ja bis dahin auch schon zur Familie. Und als ich Claudia’s Gesichtsausdruck sehe, habe ich das Gefühl, auch sie hofft darauf.

Nachdem wir auch noch ein paar Gartencenter abgegrast haben, die schon die herrlichsten Sachen im Angebot haben, fahren wir zurück zum Haus. Claudia misst vorsichtshalber nochmal die Terrasse aus, da diese Maße auf dem Grundriss nur Schätzwerte waren, um auch sicher zu gehen, dass alles passt.
„Wenn Sie noch Fragen haben sollten, oder ein paar weitere Tipps brauchen, melden Sie sich einfach bei mir, Nina!“ sagt sie beim Abschied und drückt Nina ihre Visitenkarte in die Hand.
Auch mir gibt sie eine. „Für Sie gilt natürlich das Gleiche, Nicky. Für Sie… und Ihre Familie.“
Ich nicke sie lächelnd an, denn ich weiß genau, auf was sie hinaus möchte. „Vielen lieben Dank. Ich denke, das Angebot werde ich früher oder später sehr gerne annehmen. Vielleicht kann man ja auch eine Art Zusammenarbeit hinbekommen. Wenn Lawson Immobilien einen Haus verkaufen, kann man sie dazubuchen, falls Bedarf besteht. Wie klingt das für Sie?“
Sie reißt die Augen auf. „Wow, das wäre perfekt! Meinen Sie, das geht?“
„Naja, sagen wir mal so: ich bin erstens mit einem der Geschäftsführer liiert, zweitens arbeite ich zur Zeit in ihrem Büro und drittens: wer kann schon weiblichem Charme widerstehen!“
Wir drei brechen in schallendes Gelächter aus. „Ich würde mal sagen: drei zu null für Sie, Nicky! Also dann, ich muss los. Nina, wir telefonieren in den nächsten Tagen, ja? Auf Wiedersehen, Nicky, und… viele Grüße an die Familie.“

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