Kapitel 31

Auf dem Fluss ist gar nicht so viel los, wie wir erwartet haben und so ist die Freude natürlich umso größer.
„Dann kann ich Sarah etwas mehr von der Leine lassen, wenn nicht so viele Leute da sind“, sagt Jacob sichtlich erleichtert.
Nach zehn Minuten stehen wir startklar auf unseren Kufen und los geht’s. Nina redet immer noch ohne Punkt und Komma auf mich ein, aber ich selbst bin bereits Feuer und Flamme von der Idee.
„Hast Du das schon mit Deinen Chefs geklärt, ob Du nächste Woche überhaupt Zeit hast?“ ruft Jacob von der Seite.
Ich grinse ihn frech an. „Den einen Chef krieg ich mit Sicherheit rum!“ und strecke ihm die Zunge raus.
Wir lachen und beschließen dann, an einer der Buden einen heißen Kakao zu trinken. Wir setzen uns an einen der Tische und lassen uns das heiße Getränk schmecken, während Sarah und Mathilda dazu auch noch an ein paar Pommes Frites knabbern. Ich bemerke, wie Jacob gebannt auf die Eisfläche schaut und versuche, seinem Blick zu folgen. Dann bleibe ich an einer jungen Frau haften, die auf der anderen Seite auf einer Bank sitzt und die Sonne genießt. Sie hat die Augen geschlossen. Ich sehe Jacob an und bemerke in seinen Augen ein leichtes Funkeln. Aber diesmal ist es kein Jäger-Funkeln, der seine Beute ausspäht, diesmal ist es das Funkeln, welches ich bei Christopher schon des öfteren gesehen habe – wenn er mich anschaut. Sollte sich Jacob verliebt haben – auf den ersten Blick? Insgeheim wünsche ich es mir sehr, denn dann wäre ich komplett aus dem Rennen, was sicher auch Christopher etwas beruhigen würde. Immer wieder schaut er zu ihr, vergewissert sich, dass sie noch da sitzt und dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Ich lehne mich zu ihm und flüstere ihm ins Ohr.
„Wieso gehst Du nicht rüber und sprichst sie an?“
Erschrocken dreht er sich zu mir um. „Das kann ich doch nicht machen! Vielleicht ist sie mit ihrem Freund oder Mann da.“
„Wenn Du sie nicht fragst, wirst Du es nie erfahren.“ antworte ich ihm. „Du bist doch sonst nicht so schüchtern.“
Er verdreht die Augen. „Das ist was anderes!“ sagt er entschlossen.
Ich schaue ihn übertrieben überrascht an. „Wiesooooooooo?“
Jacob druckst herum. „Naja…weil… ach… es ist halt anders.“
Meine Hand landet sanft auf seiner. „Ich weiß, Jacob, so was nennt man Liebe. Und anscheinend hat’s Dich grad so richtig erwischt.“
Er grinst, weil er weiß, dass ich recht habe.

Mathilda und Sarah drängeln schon und wollen weiter.
„Nicky, kann ich Dich…“ beginnt Jacob, aber ich winke ab.
„Ist schon okay, Jay. Geh endlich zu ihr, bevor sie weg ist.“
Gerade, als er aufstehen will, halte ich ihn noch kurz zurück. „Zwei Sachen noch.“
Seine Augen werden groß. „Jaaaa?“
„Erstens: gib mir bitte den Autoschlüssel. Falls Ihr zwei Euch verquatscht, aber Sarah frieren sollte, möchte ich mich gern ins Warme setzen können, dann weißt Du auch, wo Du uns findest.“
Er kramt den Schlüssel aus seiner Jackentasche. „Und zweitens?“
Jetzt ist sein Blick schon leicht ängstlich.
„Zweitens möchte ich von Dir, dass Du es langsam angehen lässt. Du neigst dazu, gleich… naja… zur Sache zu kommen und ich glaube, es ist besser, wenn Du behutsam vorgehst.“
Jacob lächelt mich an. „Ich geb' mein Bestes. Und…“ Er nimmt mich in den Arm. „Danke für alles, Nicky!“

Ich beobachte Jacob, wie er langsam auf sie zu gleitet. Nur mit Mühe kann er sich durch die Menschen auf den Schlittschuhen kämpfen, denn er muss ja gegen den Strom laufen. Ich warte, bis er bei der jungen Frau angekommen ist und beobachte die beiden. Sie zuckt etwas zusammen, als Jacob sie anspricht, doch im nächsten Moment kann ich ein Lächeln auf ihren Lippen sehen. Naja, bei diesen blauen Augen auch kein Wunder, denke ich mir. Einige Minuten vergehen, in denen Jacob vor ihr steht und sie sich unterhalten, bevor sie ihm mit einer Geste zu verstehen gibt, dass er sich setzen soll. Ich muss lächeln und in diesem Moment schaut er kurz zu mir. Ich fange seinen Blick auf und zwinkere ihm zu, was er erwidert. Guten Gewissens stehe ich auf und begebe mich auf die Suche nach Marcus, Nina, Sarah und Mathilda. Innerlich kann ich es gar nicht erwarten, heute Abend von Jacob einen Bericht zu bekommen.

Wir bleiben fast vier Stunden auf dem Eis, halten mal hier und da, um den Mädchen etwas zu trinken zu kaufen und reden sehr viel. Nina kann es gar nicht erwarten, mit mir shoppen zu gehen.
„Es gibt hier so tolle Geschäfte für die Inneneinrichtung, Nicky, das kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Dagegen ist IKEA, Depot und CriCri ein Witz.“
Ich muss lachen – früher ist sie für ihr Leben gern dort einkaufen gegangen, da muss Kanada schon ganz schön was zu bieten haben. Sie macht mich neugierig und steckt mich mit ihrer Vorfreude an. Marcus dagegen will mehr über meine Zukunft wissen.
„Und Du hast jetzt ein Visum für ein Jahr? Das ist echt so toll! Ich kann kaum glauben, dass Du jetzt wieder in meiner Nähe bist!“
Er nimmt mich in den Arm und wie eh und je fühlt es sich einfach nur toll an!
„Glaub mir, Mac, auch ich bin so glücklich hier. Und das liegt nicht nur an Christopher. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr es mir gefehlt hat, einfach mal für ein Wochenende zu Dir zu kommen, vor allem in der Zeit, als es… naja… als ich es am nötigsten gebraucht habe. Aber jetzt fängt ein neues Leben an – vielleicht so was wie eine zweite Chance für mich.“

Mittlerweile ist es schon dunkel und wir beschließen, mit dem Bus zurück zum Parkplatz zu fahren. Da ich noch immer nichts von Jacob gehört habe, schicke ich ihm eine SMS.
„Wir sitzen gleich im Bus auf dem Weg zurück zum Auto. Wo bist Du?“
Ich muss ewig auf eine Antwort warten und habe schon Angst, Sarah und ich müssen allein im Auto auf ihn warten, als endlich eine Nachricht kommt, gerade, als wir beim Wagen ankommen.
„Gib mir noch zehn Minuten, dann bin ich da.“
Ich muss grinsen – scheint wohl ganz gut gelaufen zu sein. Nina entgeht es nicht und kommt zu mir.
„Nachricht von Jacob?“
Ich hatte ihnen erzählt, warum Jacob uns nicht begleitet und vor allem Marcus konnte ich ansehen, dass er auf irgend eine Weise erleichtert war, so etwas zu hören. Ich kann ihn verstehen.
„Mehr oder weniger“, antworte ich. „Er ist gleich da. Was passiert ist, hat er nicht geschrieben.“
„Nicky, Du musst mir unbedingt erzählen, was bei ihm raus gekommen ist.“
Lächelnd nicke ich. „Wenn ich seine Erlaubnis bekomme…“

Aus den 10 Minuten werden 20, aber ich bin ihm nicht böse. Als er auf uns zukommt, kann ich schon von weitem sein strahlendes Gesicht sehen. Ich schaue ihn leicht fragend an und er grinst nur noch mehr.
„Details gibt’s zu Hause, sonst muss ich alles zweimal erzählen!“ winkt er ab, bevor ich überhaupt fragen kann.
Ich hasse es, wenn ich warten muss, obwohl ich fast platze vor Neugier, aber ich versuche, mich zu beherrschen. Wir verabschieden uns von Marcus, Nina und Mathilda und ich verspreche Nina, mich zu melden, sobald ich weiß, wann ich nicht arbeiten muss. Jacob startet den Motor und ich hoffe inständig, dass wir schnell zu Hause sind, doch anscheinend will mich der liebe Gott ärgern – wir landen direkt in einem Stau auf dem Highway. Ich wippe mit den Beinen und kann mich vor Neugier kaum noch bremsen.
„Jetzt sag mir doch zumindest ihren Namen, Jay!“
Er grinst mich von der Seite an. „Also sag mal, Nicky! Du bist ja schlimmer wie meine Mum nach meinem ersten Date!“
Wir müssen lachen. „Ach komm schon, wenigstens ihren Namen!“
„Okay, okay, nicht, dass Du hier noch ausflippst! Sie heißt Claudia.“
Von der Rückbank kommt überraschend ein Zwischenruf. „Ist das die Frau, mit der Du geredet hast, Onkel Jacob?“
„Ja, mein Schatz. Sie war allein auf dem Eis und ich wollte ihr etwas Gesellschaft leisten. Du weißt doch, dass es nicht schön ist, allein zu spielen.“
Während er die letzten Worte sagt, lächelt er mich verschmitzt an und ich weiß nur zu gut, warum: ‚spielen’ – ja klar! Sarah ist so müde, dass sie gar nicht weiter nachfragt, was sonst eigentlich ihre Art ist. Fünf Minuten später ist sie eingeschlafen.

Endlich geht es auf dem Highway weiter und ich bin heilfroh, als ich das Haus sehe und Jacob in die Einfahrt fährt. Ich schnalle Sarah vom Rücksitz und trage sie ins Haus, wo mich Christopher bereits mit einem Kuss erwartet.
„Ich bring Sarah ins Bett und dann komm ich gleich wieder“, sage ich zu ihm und schaue dann Jacob an. „Es gibt was zu erzählen!“
Christopher schaut zwischen mir und seinem Bruder irritiert hin und her.
„Wehe, Du fängst ohne mich an, Jacob!“ schaue ich ihn leicht böse an, muss dann aber lachen.
Er schüttelt den Kopf. „Keine Sorge, Nicky.“

Ich ziehe Sarah um, sie putzt sich fast schon im Halbschlaf die Zähne und dann bringe ich sie ins Bett.
„Schlaf gut, Sarah!“ flüstere ich ihr zu und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.
Plötzlich schlingt sie ihre Arme um meinen Hals und drückt zu. „Ich hab Dich lieb, Nicky!“
Ich bin fast zu Tränen gerührt und muss schlucken. Das hätte mir jemand vor einem Jahr sagen sollen, geht es mir durch den Kopf. Als sie mich wieder loslässt, lächele ich sie an, streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht und antworte: „Ich Dich auch.“
An der Tür drehe ich mich noch einmal um und schaue sie für einen Moment an. Sie kuschelt sich in die Decke und ihr langsamer Atem zeigt mir, dass sie schon eingeschlafen ist. Sie hat keine Ahnung, wie sehr ich sie liebe!

Auf dem Weg nach unten habe ich völlig vergessen, dass Jacob ja noch etwas zu erzählen hat und gehe zunächst erst einmal in die Küche, um mir einen Tee aufzusetzen.
„Nicky“, ruft es aus dem Wohnzimmer. „Bist Du gar nicht mehr neugierig?“
Ich kann den witzelnden Unterton hören und mir fällt es wie Schuppen von den Augen: Claudia.
„Gib mir zwei Minuten, bitte!“ antworte ich.
Als ich auf der Couch sitze, ist es still.
„Ja, und was is nun?“ fragt Christopher. „Jetzt macht’s doch nicht so spannend!“
„Dein kleiner Bruder hat jemanden kennen gelernt und wenn ich ihn mir so anschaue, war es ein sehr schönes Gespräch.“
Jacob schaut verlegen nach unten – so habe ich ihn noch nie gesehen und immer mehr bekomme ich das Gefühl, es hat ihn wirklich erwischt.
„Los, Jacob, erzähl schon!“

Er holt tief Luft, als wolle er etwas beichten.
„Naja, was soll ich groß erzählen. Sie heißt Claudia, ist seit zwei Jahren in Toronto, war vorher in Los Angeles und ist ursprünglich – ich dachte, ich hör nicht richtig – aus Deutschland.“
Ich schaue ihn mit großen Augen an. „Is nich Dein Ernst! Mir scheint, die Herren Lawson stehen auf deutsche Mädels.“
Wir drei müssen lachen.
„Und wieso ist sie so rumgekommen und wohnt jetzt hier?“ fragt Christopher nach.
„Sie arbeitet als Innenarchitektin und hat ein Angebot ihrer Firma bekommen, in der Filiale in L.A. zu arbeiten. Und dann haben sie in Toronto ein weiteres Büro aufgemacht und das leitet sie jetzt.“
In meinem Kopf rattert es – Innenarchitektin. „Weißt Du was, Jacob. Irgendwie scheint das alles Schicksal zu sein.“
Überrascht und mit großen Augen schaut er mich an. „Wie meinst Du das?“
„Naja, Marcus und Nina wollten ein neues Haus kaufen und ich werde von einem Immobilienmakler angerempelt. Jetzt will Nina ihr Haus neu einrichten und Du lernst eine Innenarchitektin kennen.“
„Ha, stimmt!“ lacht Christopher. „Irgendwie ist das echt witzig.“
„Und wann seht Ihr Euch wieder?“ hake ich nach.
Jacob druckst herum. „Das haben wir nicht ausgemacht.“
„Aber Du hast doch wenigstens ihre Nummer oder sie Deine?“ fragt jetzt Christopher leicht irritiert. „Du bist doch sonst nicht so.“
„Ja, ja, ich habe ihre Nummer, aber ich weiß nicht… Ich will nicht aufdringlich wirken oder so… Ich weiß ja auch gar nicht, ob sie… Also ob ich ihr sympathisch war…“
Ich kann mir vorstellen, wie es ihm geht – das gleiche habe ich ja am Anfang bei Christopher durchgemacht, aber mir fällt ein, wie mir Marcus und Nina das ganze etwas erleichtert haben.
„Ich hab eine Idee, Jay. Wie wär’s, wenn ich Claudia anrufe. Ich meine, sie hat uns ja gesehen, weiß also, dass ich mehr oder weniger zu Dir gehöre und ich könnte sie ja fragen, ob sie meiner Freundin mal ein paar Tipps bezüglich Inneneinrichtung geben könnte, da Du mir erzählt hast, dass sie so was professionell macht. Dann kann ich ihr – wenn Du magst – mal ein bisschen auf den Zahn fühlen.“
„Würdest Du das für mich machen?“ schaut er mich leicht verlegen an.
„Natürlich, Jacob! Gib mir ihre Nummer, ich werde sie am Montag mal anrufen.“
„Und soll ich bis dahin nichts unternehmen?“ schaut er abwechselnd mich und Christopher fragend an.
„Hey, Bro, Du bist doch sonst nicht so schüchtern! Was ist denn mit Dir los?“
Ich kneife Christopher in die Seite. „Was denkst Du denn, Schatz – Jacob ist verliebt und zwar bis über beide Ohren. Jacob, wenn sie sich nicht meldet, kannst Du ja morgen im Laufe des Tages zumindest so was schreiben von wegen ‚Danke für die nette Unterhaltung’ oder so.“
Er nickt.
„Ich werd jetzt erstmal Nina anrufen und sie fragen, was sie davon hält. Nicht, dass ich sie mit Claudia überrumpele. Ach ja, da fällt mir ein, ich muss ja meine Chefs fragen, ob ich nächste Woche mit Nina shoppen gehen darf, also mal einen Tag frei bekomme.“
Christopher nimmt mich leicht in den Schwitzkasten. „Noch nicht mal richtig angefangen und schon frei haben wollen, das haben wir gern!“
Aber Jacob willigt natürlich sofort ein. „Ich denke, Christopher, in diesem speziellen Fall können wir eine Ausnahme machen.“
Er grinst seinen Bruder an und dieser gibt mir als Zeichen seiner Zustimmung einen Kuss. „Ich hoffe, Du machst Deine Sache gut, Nicky. Aber ich bin mir da ziemlich sicher.“

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