Kapitel 45

Nachdem wir zu viert über das Wochenende die komplette Mappe studiert und die Finanzen durchgerechnet haben, sind wir uns einig. Das „Casa Loma Castle“ wird unsere Hochzeitslocation.
„Ich werde morgen vom Büro aus gleich mal das Hotel kontaktieren.“ schlägt Jacob vor. „Habt Ihr denn schon eine ungefähre Ahnung, wieviel Gäste kommen beziehungsweise wieviel ein Hotelzimmer brauchen?“
Christopher und ich schauen uns leicht entgeistert an.
„Ähm“, stammelt Christopher. „Eigentlich noch nicht so richtig.“
„Aber Ihr wisst doch so in etwa, wen Ihr einladen möchtet, oder?“
Ich nicke. „Ja, aber wir haben noch keine Gästeliste oder so gemacht. Bevor wir nicht die Location haben, wollten wir uns nicht damit befassen.“
Claudia stimmt mir zu. „Das ist natürlich verständlich. Wie wär’s, wenn Ihr jetzt damit anfangt?“

Gesagt, getan – Jacob holt Stift und Papier und wir schreiben drauf los. Alles in allem kommen wir letztendlich auf 80 Gäste, obwohl wir schon hier und da Abstriche gemacht haben.
„Super, und jetzt müsst Ihr uns noch sagen, wer alles ein Hotel benötigt.“ spornt uns Jacob weiter an.
Also gehen Christopher und ich die Liste ein weiteres Mal durch und wir stellen fest, dass doch fast die Hälfte der Gäste niemanden in Toronto oder Umgebung zum Übernachten haben.
„Na also“, ruft Jacob fast schon überglücklich. „Damit kann ich arbeiten. Ich werd mich morgen mal an die Strippe hängen. Vielleicht kann man ja was am Zimmerpreis machen bei so vielen Gästen. Und wegen dem Catering ist mir auch jemand eingefallen. Christopher, kannst Du Dich noch an Jonathan erinnern, der bei unserem Einzug in das Haus damals grad die Ausbildung zum Koch und sich später als Caterer selbständig gemacht hat? Ich denke, der wird sich freuen, wenn er uns einen Dienst erweisen kann, nachdem wir für ihn immer als Versuchskaninchen herhalten mussten, wenn er wieder mal ne Prüfung abzulegen hatte.“
Christopher lacht laut los. „Oh ja, der hat teilweise ganz schöne Dinge fabriziert. Läuft denn sein Service gut?“
„Und wie!“ erwidert sein kleiner Bruder. „Der kann sich vor Aufträgen kaum retten. Hoffentlich hat er Ende September noch einen Termin frei.“

Zwei Wochen später sind wir unserem Ziel schon sehr viel näher gekommen. Christopher und ich waren auf dem Standesamt, wo wir nicht nur die Formalitäten hinsichtlich der Trauung geklärt haben, sondern auch parallel die Dokumente bezüglich Sarah’s Adoption unter Dach und Fach gebracht haben.
„Diesen Zettel würde ich mir am liebsten einrahmen lassen“, sagt Christopher, als wir die Behörde verlassen und küsst mich liebevoll.
„Wieso machst Du dann nicht?“ necke ich ihn.
„Ich nehm’ Dich beim Wort!“
Noch bevor ich etwas sagen kann, zieht mich Christopher zu einem kleinen Deko-Laden auf der gegenüberliegenden Seite.
„Was hast Du vor, Chris?“ frage ich leicht außer Atem, da er fast schon rennt.
„Lass Dich überraschen, Schatz!“ grinst er mich an.
Plötzlich stehen wir vor einem riesigen Regal voller Bilderrahmen und ich verstehe. „Du bist verrückt, Christopher Lawson, einfach nur verrückt!“
„Nein, Nicky, ich bin verliebt... verliebt und glücklich! Und weißt Du was? Der Rahmen kommt in Sarah’s Zimmer!“
Ich bin gerührt und muss mich zusammenreißen, nicht im Geschäft loszuweinen.

In diesem Moment klingelt sein Handy.
„Hey, Jay. Was gibt’s?“ fragt er und ich lausche gespannt, verstehe aber kaum ein Wort.
„Wow, das sind echt super Neuigkeiten. Lass mich raten, der Besitzer war eine Frau und Du hast sie mit Deinem Charme und Deinen blauen Augen rumbekommen, was?“
Er lacht, aber ich kapiere noch immer nicht so ganz.
„Okay, Bro, wir sehen uns später!“ Christopher legt auf und redet dann drauf los. „Jay hat es doch tatsächlich geschafft, die Hotelzimmer zum halben Preis zu bekommen. Außerdem wird uns Jonathan einen Freundschaftspreis machen und er ist durch die Kochausbildung mit einem Konditormeister befreundet, der uns – wenn wir wollen – die Hochzeitstorte sponsert.“
Meine Augen werden immer größer. „Ist das Dein Ernst?“
Ich kann es nicht fassen.
„Ja, dadurch sparen wir eine Menge und ich glaube, wir können Deine Familie tatsächlich einfliegen lassen.“
Ich hatte vor ein paar Wochen mit meiner Mutter gesprochen und es sah zu dieser Zeit so aus, dass wohl nur sie, nicht aber meine Oma nach Toronto zur Hochzeit kommen könnte, da die Tickets einfach zu teuer wären. Christopher hatte sofort gesehen, dass es mich vor Kummer darüber fast zerrissen hat und ich bin mir ziemlich sicher, dass er mit Jacob darüber gesprochen hat und dieser jetzt alles daran gesetzt hat, so viel wie möglich an Geld zu sparen. Jetzt diese Worte aus Christopher’s Mund zu hören, lässt mich innerlich vor Freude schreien.
„Christopher, das ist… das ist einfach nur… wow! Mir fehlen echt die Worte!“
„Bedank Dich nicht bei mir, Schatz! Jay hat alles organisiert, weil er wollte, dass Deine komplette Familie bei Dir ist an diesem großen Tag!“

Zwei Tage später holen mich Claudia und Nina in aller Herrgottsfrühe ab. Zuerst holen wir die Einladungskarten ab, die Christopher und ich bis ins kleinste Detail selbst kreiert haben. Am Wochenende wollten wir die Post fertig machen. Danach fahren wir zu Clint, dem Konditor, der uns drei Torten präsentiert.
„Also, Nicky, das sind natürlich nur zweistöckige Torten, damit Du ein Gefühl bekommst, wie sie zum Schluss aussehen sollen. Welche gefällt Dir am besten?“
Ich blicke zwischen den drei Kalorienbomben hin und her und dann schaue ich Nina und Claudia fragend an.
„Was meint Ihr?“
Claudia überlegt und antwortet dann. „Da Ihr im September heiratet, wo es gewöhnlich noch sehr warm ist, würde ich keine schwere Torte nehmen. Also fällt meiner Meinung nach die Creme schon mal raus. Ich würde auf alle Fälle etwas Fruchtiges nehmen.“
„Yep, seh' ich auch so!“ stimmt Nina zu und auch ich bin ihrer Meinung.
Letztendlich entscheiden wir uns für die Erdbeervariante, die zum besseren Halt mit Marzipan umrandet ist, innen aber sehr leicht ist.

Der dritte und wichtigste Stopp ist jedoch am heutigen Tage das Brautmodengeschäft. Ich war in den letzten Wochen immer mal wieder allein losgezogen und hatte bei „Jealous Bridesmaids“ gleich drei wunderschöne Kleider gefunden, unter denen ich mich aber nicht entscheiden konnte. Gepasst haben sie alle, nur brauchte ich noch die ein oder andere Meinung der wichtigsten Frauen in meinem neuen Leben. Die Besitzerin Charmaine begrüßt uns sehr herzlich.
„Schön, Sie wieder zu sehen!“ kommt sie strahlend auf mich zu. „Und ich sehe, Sie haben Verstärkung mitgebracht.“
Ich nicke und stelle ihr Nina und Claudia vor.
„Ich würde den beiden gern ‚meine’ drei Kleider zeigen, weil ich mich ja leider nicht entscheiden kann.“
Charmaine ist schon fast zwischen den ganzen Hochzeitsoutfits verschwunden, als sie uns zuruft: „Ich hab sie extra für Sie noch immer zur Seite gelegt. Wir können also gleich anfangen!“
Wir folgen ihrer Stimme zur Anprobe, wo sie bereits drei Sessel zusammenschiebt und eine Angestellte herumscheucht.
„Mary, hol bitte drei Gläser Champagner und die Accessoires, die ich mit ‚Fischer’ markiert habe.“

Nach ungefähr zwei Stunden, die mir allerdings wie fünf Stunden vorkommen und drei Kleidern mehr, die ich eigentlich gar nicht eingeplant, aber Claudia und Nina für mich aus dem ganzen Sortiment noch herausgefischt haben, sind wir total fertig, haben aber auch die endgültige Wahl getroffen. Nina sitzt noch immer leicht verheult da, als ich zum letzten Mal das Kleid anziehe, in welchem ich Christopher heiraten werde. Witzigerweise ist es keins der Stücke, die ich im Vorfeld ausgewählt habe, sondern Claudia’s Wahl. Ich selbst hätte mir nie im Leben dieses wunderschöne Exemplar zwischen all den anderen herausgesucht, denn ich war der Meinung, dass mir so was eher weniger steht. Claudia allerdings hat mich vom Gegenteil überzeugt und schon beim ersten Blick in den Spiegel war ich begeistert davon.

Charmaine bringt mir zum Abschluss noch zwei paar verschiedene Schuhe, die perfekt zum Kleid passen würden sowie eine schlichte Kette und die passenden Ohrhänger. Dann drehe ich mich um und schalte für einen Augenblick alles andere aus, als ich mein Spiegelbild betrachte: die Korsage schließt an der Taille mit einer zweimal um den Körper gewickelten riesigen seitlich gebunden Schleife ab. Der Rock, den man unabhängig von der Korsage anziehen kann – was einiges einfacher macht – besteht aus zwei Teilen. Der eigentliche Rock besteht aus seidenem cremefarbenem Stoff, über den ein durchsichtiger Stoff mit gestickten Blüten gelegt ist. Der Rock ist hinten länger, so dass er in eine Schleppe übergeht, die man entweder mithilfe eines Tricks unter den Unterrock binden oder mit einer Öse am Handgelenk halten kann. Nina hat dazu einen wunderschönen langen Schleier gefunden, ohne jeglichen Schnörkel, der mit ein paar kleinen Handgriffen im Haar festgemacht werden kann. Charmaine’s Schmuckauswahl passt perfekt – nicht zu schlicht, aber auch nicht zu pompös. Ich spüre kaum, wie mir vor Begeisterung – oder ist es Sprachlosigkeit über diese Schönheit – die Tränen laufen, bis mir plötzlich jemand mit einem Taschentuch über die Wangen streicht.
„Du willst doch wohl nicht jetzt schon Flecken auf das tolle Kleid machen, oder?“ holt mich Claudia zurück und hält mir ein weiteres Taschentuch sowie mein Glas Champagner entgegen.
„Auf die schönste Braut, die ich seit langem gesehen haben!“ hebt Nina im Hintergrund das Glas und selbst Charmaine gönnt sich einen Schluck.
Auch für sie ist es ein Grund zum feiern, habe ich mich schließlich wieder einmal nicht für das Billigste entschieden.
„Ich weiß nur eins, Miss Fischer. Ihr zukünftiger Mann wird ganz schön Augen machen, wenn er Sie sieht. Sie sehen wirklich bezaubernd aus!“
Mir wird leicht warm und ich spüre, wie ich rot werde. „Danke, Charmaine, für alles!“
„Das habe ich sehr gern gemacht. Nächste Woche sehen wir uns noch einmal wegen den kleinen Änderungen, die wir vornehmen werden, dann wird es ein weiteres Mal gereinigt und eine Woche vor Ihrer Hochzeit bringen wir es persönlich vorbei!“ Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd, als wir das Geschäft verlassen und uns auf den Heimweg machen. Schon jetzt kann ich es kaum erwarten, Christopher’s Gesicht zu sehen.

Kommentare