Kapitel 37

Zwei Wochen später feiern wir an einem Wochenende nicht nur eine, sondern gleich drei Einweihungs- beziehungsweise Umzugsparties. Wir entscheiden uns, bei Marcus und Nina die Party steigen zu lassen und die Herren fahren schon am frühen Morgen in die Stadt, um das Essen zu besorgen. Mittlerweile ist es Ende März und die Sonnenstrahlen haben schon solche Kraft, dass wir uns entschlossen habe, zumindest den Grill auf der Terrasse anzuwerfen. Viele Freunde von den Lawsons sowie von Nina und Marcus sind eingeladen und ich freue mich riesig, alle kennen zu lernen. Sonst waren wir immer nur unter uns, aber jetzt kommen auch einige Nachbarn mit ihren Kindern, mit denen ich nur ein paar mal früh morgens an der Haustür gesprochen hatte, als ich den Fahrdienst für Christopher übernommen hatte.

Claudia, Nina und ich kümmern uns um das Essen, als Jacob, Christopher und Marcus wieder zurück sind und die drei haben ein Auge auf Mathilda und Sarah sowie auf den riesigen Grill.
„Männer und ihre Barbecues sind wie kleine Jungs und Autos, oder?“ lache ich in die Runde, als ich vom Fenster aus die Terrasse beobachte.
Nina und Claudia kommen zu mir, schauen mir über die Schulter und wir brechen in schallendes Gelächter aus. Sarah und Mathilda kommen in diesem Moment herein.
„Wir sollen was zu trinken holen.“
Claudia kniet sich vor die beiden. „Könnt Ihr das denn auch alles tragen?“
Die beiden Mädchen schauen sich etwas fragend an und zucken dann die Schultern.
„Dann helf' ich Euch wohl mal dabei.“
Sie holt drei Flaschen aus dem Kühlschrank, drückt den Kleinen jeweils eine Flasche in die Hand und schiebt sie voran nach draußen. Nina und ich schauen aus dem Fenster und beobachten die Situation.
„Ich glaub, Claudia tut Jacob gut, meinst Du nicht, Nicky?“
Mir geht genau das gleiche durch den Kopf. Jacob zieht Claudia in seine Arme, kaum, dass sie neben ihm steht und sie legt ihren Kopf auf seine Schulter. Die zwei sehen so gut zusammen aus und ich freue mich unendlich für ihn.
„Hhhhmmm!“ antworte ich.

Wir wollen gerade wieder weiter den Salat schneiden, als mir schwindelig wird. Ich muss mich an der Tischkante festhalten und Nina schaut mich mit großen Augen an.
„Nicky, alles in Ordnung?“
Ich hole kurz tief Luft. „Ja, ja, ich hab einfach heute zu wenig getrunken. Durch das ganze Hin und Her hab ich das irgendwie total vergessen.“
Ein prüfender Blick von Nina sagt mir, dass sie mir nicht so recht glauben will, doch ich versichere ihr, dass es nichts weiter ist. Doch nach ein paar Minuten merke ich wieder, dass sich ein Schwindelgefühl anbahnt und dazu macht sich außerdem mein Magen bemerkbar. Ich versuche, ruhig zu bleiben und verabschiede mich gekonnt normal ins Badezimmer. Die Tür bekomme ich gerade noch so zu, als sich mein Mageninhalt auch auf den Weg nach oben macht und ich kniend über der Toilettenschüssel hänge. Natürlich weiß ich, dass es nichts mit dem Trinken zu tun hat, denn seit ca. einer Woche geht es mir des öfteren so, aber ich hatte mir immer wieder versucht einzureden, dass das ganze nur vom Stress herrührt. Meine Regel war seit sechs Tagen überfällig, aber das ist mir früher in solchen anstrengenden Zeiten auch passiert, so dass ich mir im ersten Moment nichts dabei gedacht habe. Aber das kombiniert mit der Übelkeit – mir schwant etwas.

Ich lasse mich neben der Toilette zu Boden gleiten, um wieder zu Kräften zu kommen. Sollte ich mich erst vergewissern und dann mit Christopher sprechen, oder ihm gleich von meinem Verdacht erzählen? Seit gestern Abend fliegt diese Frage ständig durch mein Gehirn, aber ich finde einfach keine Antwort. Mein Kreislauf stabilisiert sich und ich gehe wieder Richtung Küche, als ich ein Gespräch zwischen Marcus und Christopher aufschnappe.
„Gott, wie schnell doch die Kinder groß werden, oder?“ sagt Marcus. „Mir kommt es vor, als hätte ich Mathilda grad erst gestern das erste Mal im Arm und jetzt rennt sie mir schon dauernd davon und nächstes Jahr kommt sie in die Schule.“
„Jep, geht mir ähnlich. Ich kann auch nicht fassen, dass Sarah jetzt schon vier Jahre alt ist – wo ist die Zeit bloß geblieben. Aber ich muss echt sagen, dass ich froh bin, dass sie jetzt aus dem gröbsten raus ist und… naja… sagen wir… selbständig ist. Ihr müsst das ganze jetzt ja nochmal durchmachen.“
Mir versetzt es einen herben Stich in die Brust und den Rest des Gespräches bekomme ich nicht mehr mit. Was eben Christopher gesagt hat, war eindeutig – was soll ich jetzt machen?
 

Ich schnappe meine Jacke und bin schon halb aus der Tür, als Nina mir hinterher ruft.
„Hey, wo willst Du hin?“
„Ich… ich… ich hab noch was zu Hause vergessen. Ich beeil mich.“
„Alles klar, Nicky, fahr vorsichtig!“
Natürlich fahre ich nicht nach Hause, sondern nur ein paar Straße weiter, wo ein kleiner Park ist. Ich stelle das Auto dort ab und sauge die frische Luft ein. Was jetzt? Was soll ich nur machen? Ich komme an einen Spielplatz – toll, wie passend! Da ich aber nur hier eine freie Bank sehe, bleibe ich. Mir geht durch den Kopf, wie gut ich meinen Körper doch kenne und bin mir sicher, dass es nicht am Stress liegt – Nicky, Du bist schwanger. Ohne, dass ich es merke, laufen mir vereinzelt Tränen über die Wange.
 

„Nicky?“
Ich zucke zusammen und drehe mich um.
„Nicky, was machst Du denn hier? Ich denke, Du holst was von zu Hause.“
Jacob schaut mich mit seinen großen blauen Augen irritiert, fragend und musternd zugleich an.
„Ähhm… ich… Und was machst Du hier?“
Er setzt sich zu mir auf die Bank. „Frage mit einer Gegenfrage beantworten? Also ich war auf dem Weg zum Supermarkt, weil Nina noch was fehlt. Also, was ist mit Dir? Und…“ Er streicht mir mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. „…wieso hast Du geweint?“
„Es… ich… Jacob, ich weiß nicht weiter! Ich habe vorhin ein Gespräch zwischen Marcus und Christopher mitbekommen wegen den Kindern.“
Jacob schaut mich prüfend an. „Das habe ich auch gehört. Und wo liegt jetzt das Problem?“
Ich druckse herum. „Naja… weißt Du, ich… ich habe noch keine Kinder. Und welche Frau wünscht sich keine Kinder?“
Tröstend nimmt er mich in den Arm. „Ach so, weil Christopher gesagt hat, dass er froh ist, dass Sarah aus dem gröbsten raus ist?“
Nickend stimme ich ihm zu.
„Nicky, gib ihm einfach ein bisschen Zeit. Ich denke, irgendwann wird der Moment kommen, wo Christopher mit Dir ein Kind will. Da bin ich mir sicher.“
Ich richte mich auf. „Aber… aber…“
Aus irgend einem Grund bringe ich es nicht über die Lippen.
„Aber Du möchtest jetzt ein Kind?“ fragt mich Jacob mit großen Augen.
Als ich nicht antworte und wegschaue, macht es plötzlich bei ihm klick.
„Nicky, bist Du vielleicht sogar schon schwanger?“
Er zwingt mich, ihn anzuschauen und erneut kommen mir die Tränen.
„Nicky, das ist doch… das ist fantastisch!“
„Aber… aber doch nicht für Christopher. Er wird sich mit Sicherheit nicht freuen!“ sprudelt es aus mir zwischen Schluchzern heraus. „Christopher hat gesagt…“

Jacob hält mich an beiden Schultern fest. „Nicky, ich weiß, dass mein Bruder aus dem Häuschen sein wird, wenn Du es ihm erzählst. Er liebt Kinder! Ich denke, er hat einfach nicht damit gerechnet, dass es so schnell passieren könnte und hat es einfach nicht eingeplant. Ich dachte allerdings, Ihr habt immer verhütet…“
Ich muss leicht schmunzeln. „Naja, es gab da schon so ein oder zwei Situation, wo wir es nicht mehr ‚geschafft’ haben, wenn Du verstehst.“
Er lacht. „Los, komm. Wir fahren jetzt zusammen zum Supermarkt. Wir sagen einfach, ich hab Dich unterwegs getroffen. Und dann nimmst Du heute im Laufe des Abends einfach Christopher mal beiseite und sagst es ihm. Schieb es nicht auf die lange Bank. Hast Du denn schon einen Test gemacht?“
Ich schüttele den Kopf. „Nein, aber eine Frau kennt ihren Körper und wenn gewisse Dinge auftreten beziehungsweise wegbleiben… Naja, das ist dann schon ein eindeutiges Zeichen, oder?“
Ich bin dankbar, mit jemand darüber geredet zu haben, habe aber insgeheim große Angst vor Christopher's Reaktion. Was, wenn Jacob sich geirrt hat?

Als wir zurückkommen, ist die Party in vollem Gange und ich bin froh, dass unser Kommen nicht wirklich registriert wird. Ich stelle Nina eine Flasche Wein hin, die mein Alibi ist und mische mich unter die Leute. Christopher lächelt mich an und ich geselle mich zu ihm.
„Geht’s Dir gut, Schatz?“ flüstert er mir ins Ohr und ich nicke.
Jetzt ist nicht der richtige Augenblick, denke ich mir. Der Abend vergeht so langsam und ich spüre Jacob’s Blicke, die mich die ganze Zeit nicht aus den Augen lassen. Sag’s ihm endlich, erkenne ich in seinen Augen, aber ich will den richtigen Zeitpunkt abwarten.

Nach und nach verabschieden sich die Gäste und Nina, Claudia und ich beginnen, das Geschirr und den Rest des Chaos zu beseitigen.
„War echt ne super Party!“ sagt Claudia, während wir in der Küche die Spülmaschine einräumen.
„Ja, hätte nicht gedacht, dass es so gut läuft.“
Jacob und Christopher kommen herein mit noch mehr Gläsern und Jacob nickt mit seinem Kopf leicht zu seinem Bruder, während er mich durchdringend mustert. Aber ich schüttele leicht, kaum merkbar den Kopf. Nicht jetzt, Jacob, ich mach es schon. Mittlerweile ist es nach Mitternacht und wir sechs merken, wie wir alle ziemlich k.o. sind.
„Ich denke, Nicky und ich fahren dann mal nach Hause. Es war echt schön bei Euch, danke nochmal für die Einladung.“
Er drückt Nina und Marcus und verabschiedet sich dann in den ersten Stock, um Sarah zu wecken, die bereits seit Stunden bei Mathilda schläft.
„Im Sommer müssen wir öfters mal ein schönes Barbecue bei uns machen – oder in unserem alten Haus oder bei Euch!“ sagt Marcus und grinst frech.
„Da bin ich dabei!“ antwortet Jacob.
Ich hole aus dem Arbeitszimmer die Sachen von Sarah, als plötzlich Jacob hinter mir steht.
„Wieso hast Du nicht mit Chris gesprochen?“
Ich hole tief Luft. „Jay, es war einfach nicht der passende Moment da. Ich mach es schon noch – aber hör auf, mich so unter Druck zu setzen!“

Ich laufe an ihm vorbei, doch er hält mich am Handgelenk fest.
„Nicky, ich will doch nur, dass Du aufhörst, Dir Sorgen zu machen. Du bist schwanger und da solltest Du den Kopf frei haben.“
„Ach, noch ist es nicht 100 %ig bestätigt, also… Ich werd vielleicht doch erst zum Frauenarzt gehen. Just to be sure!“
Er nickt. „Wie Du meinst.“

Christopher trägt die schlafende Sarah ins Auto, während Claudia und Jacob sich verabschieden und schon wegfahren. Diesen günstigen Moment nutze ich aus und nehme Nina beiseite.
„Du, Nina, kannst Du… also… naja… hast Du einen guten Arzt?“
Sie schaut mich fragend an. „Bist Du krank? Fehlt Dir wa…“
Sie zieht die Augenbraue hoch. „Ach, verstehe. Das Schwindelgefühl vorhin und Dein etwas längerer Aufenthalt auf der Toilette…“
Ich bin überrascht. „War ich denn so lange weg?“
„Naja, jetzt keine zwei Stunden, aber irgendwie… also sagen wir so… irgendwie hab ich mir schon was zusammen gereimt. Du willst die Nummer von meinem Frauenarzt, hab ich recht?“
Ich nicke.
„Wie sicher bist Du Dir denn?“ Ich erzähle ihr von meinen Beschwerden und sie nimmt mich in den Arm.
„Ich freu mich so für Dich, Nicky! Du hast echt endlich mal ein bisschen Glück verdient. Und mit Christopher hast Du den Anfang gemacht. Dass Ihr jetzt ein Baby bekommt, ist… ich würde mal sagen, nicht nur doppeltes, sondern dreifaches…ach nein… vierfaches Glück!“ Ich lächele gequält. Nina weiß nichts von meinen Bedenken und dem Gespräch, was ich aufgeschnappt habe.

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