Kapitel 38

Keine Stunde später liegen Christopher und ich erschöpft im Bett.
„Das sollten wir wirklich wiederholen – ich meine so ein Barbecue unter uns sechs… oder besser gesagt: acht. Ich finde, wir sind eine schöne Truppe. Mal sehen, wann wir zu neunt sind.“
Ich weiß, dass er damit auf Jacob als Papa anspielt und innerlich denke ich: Du wirst Dich wundern, wie schnell das eintreten wird, nur mit dem Unterschied, dass nicht Jacob Papa wird.

Am kommenden Montag rufe ich gleich morgens bei Nina’s Frauenarzt an. Gott sei Dank haben sie noch am gleichen Nachmittag einen Termin frei und da unser Kühlschrank sowieso etwas Nachschub nötig hat, fahre ich offiziell zum Einkaufen.

Ich muss zwar nur 20 Minuten warten, bis ich aufgerufen werde, aber diese kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Mit meinem Knie wippe ich nervös und ich spüre, wie die Frau neben mir leicht die Mundwinkel verzieht. Ich versuche, aufzuhören, aber fange zwei Sekunden später wieder von vorne an. Die Ärztin ist sehr freundlich und nach dem allgemeinen Gespräch kommt es zur Untersuchung. Ich bin höllisch aufgeregt, warum weiß ich nicht genau. Will ich, dass sie mir gratuliert oder will ich, dass sie „sorry, nicht schwanger“ sagt. Aber bevor ich mir dessen richtig klar werden kann, verkündet sie mir die frohe Botschaft.
„Herzlichen Glückwunsch, Miss Fischer! Sie sind in der fünften Woche schwanger!“
Meine Augen werden riesengroß und für einen Moment kann ich weder atmen noch etwas sagen. Dann spüre ich eine Kloß in meinem Hals und aufsteigende Tränen.
Die Frauenärztin lächelt mich an.
„Ich gehe stark davon aus, dass das Freudentränen sind.“
Mehr als nicken kann ich nicht.

Nachdem sie mir jegliche Unterlagen bezüglich einer Schwangerschaft gegeben hat, mache ich mich auf den Weg in den Supermarkt. So richtig konzentriert einkaufen kann ich nicht, aber wenigstens schaffe ich es, das Notwendigste zu besorgen. Zu Hause kommt mir schon Christopher entgegen und hilft mir mit den Tüten. Wir stellen alles auf den Küchentisch und dabei fällt meine Handtasche runter. Ich bemerke es zwar und auch, dass meine Geldbörse, mein Handy und noch ein paar andere Sachen herausfallen, habe aber nichts dagegen, dass Christopher sie wieder aufhebt – reine Routine. Doch plötzlich schalte ich – der Mutterpass! Ich will mich gerade meiner Tasche widmen, als er auch schon vor mir kniet und alles aufsammelt. Natürlich war diesmal nicht das Glück auf meiner Seite: der Pass liegt vor unseren Augen auf dem Boden und Christopher sieht so etwas nicht zum ersten Mal. Innerlich schreie ich, aber was soll ich jetzt noch tun. Für einige Sekunden ist es ruhig und er hebt langsam die Unterlagen auf, erhebt sich dann und schaut mich an, während er die Tasche auf den Tisch legt. Eigentlich will ich wegschauen, doch ich kann nicht. Er hält mich mit seinem Blick fest.

„Nicky, ist es das, für das ich es halte?“
Ich schlucke, bekomme kein Wort heraus. Was kommt jetzt? Ich habe Angst.
„Nicky, bist Du… bist Du schwanger?“
Mir wird klar, dass ich ihm antworten muss und ich nicke vorsichtig. Plötzlich sehe ich etwas in seinen Augen, mit dem ich eigentlich nicht gerechnet hatte: Tränen. Christopher wirft den Pass auf den Tisch, nimmt meinen Kopf in seine Hände und küsst mich.
„Schatz, das… das… ich… mir fehlen die Worte! Seit wann weißt Du es schon?“
„Ich war eben beim Frauenarzt, aber seit letzter Woche war ich mir schon ziemlich sicher.“
„Aber wieso hast Du nichts gesagt? Ich wäre doch mitgekommen.“
Ich druckse herum und er merkt, dass ich ihm ausweichen will.
„Was ist, Nicky?“
Langsam beginne ich, ihm von Samstag zu erzählen. Dass ich da das erste Mal alle Anzeichen auf einmal hatte und es mir da so richtig klar war, ich dann aber das Gespräch zwischen ihm und Marcus gehört hatte.
„Schatz, Du Dummerchen! Natürlich bin ich froh, dass Sarah aus dem Gröbsten raus ist. Insgeheim hatte ich doch gehofft, dass es nochmal auf mich zukommt, nur wollte ich Dich mit so was nicht überrumpeln – vor allem nicht nach dieser schweren Zeit der letzten Wochen. Glaub mir, Schatz, Du machst mich grad zum glücklichsten Mann der Welt!“
Christopher umarmt mich, wirbelt mich herum und wir beiden strahlen über’s ganze Gesicht. Als er mich wieder herunterlässt, schaut er mich fragend an.
„Sag mal, wann meinst Du denn, wann das passiert ist? In welcher Woche bist Du denn jetzt?“
Ich grinse ihn an. „Ich bin in der fünften Woche und jetzt rechne mal. Weißt Du noch, als wir uns einen schönen Abend gemacht haben? Wir waren erst zusammen essen und dann noch im Kino?“
Ich grinse ihn schelmisch an und er kapiert sofort.
„Du meinst, als wir…?“ Er lacht laut auf. „Wenn wir das irgendwann mal diesem kleinen Lebewesen erzählen, sind wir bestimmt coole Eltern und keine Spießer!“
Er legt sanft seine Hand auf meinen Bauch und kniet sich vor mich. „Hallo, Du da drin. Deine Eltern sind voll cool und Du bist kein Kind, was total langweilig gezeugt wurde. Wie wär’s, wenn wir Dich ‚Cherokee’ nennen?“
Ich klopfe ihm mit dem Finger auf die Stirn. „Du Spinner, wir können doch unser Kind nicht nach einem Jeep benennen!“
Christopher lächelt, zieht mich zu sich nach unten und küsst mich. Die Freude auf das Bevorstehende und die Glückshormone lassen die Leidenschaft in uns aufsteigen und wir lieben uns die halbe Nacht. Jacob hatte recht gehabt und ich bin so froh, dass es jetzt endlich raus ist. In acht Monaten werde ich Christopher ein Baby schenken!

* * * * *

Ein paar Wochen später gehen wir gemeinsam zum Frauenarzt. Christopher lässt mich nicht mehr aus den Augen, aber ich genieße es, weil er ein Händchen dafür hat, mir nicht auf die Nerven zu gehen. Er spürt, wenn ich mal Zeit für mich brauche. Ich habe das Gefühl, er ist aufgeregter als ich, als wir im Wartezimmer warten, bis ich aufgerufen werde.
„Schon, Sie kennen zu lernen, Mr. Lawson! Hallo, Miss Fischer, wie geht es Ihnen?“ begrüßt uns Dr. Johnson, die Ärztin.
„Alles bestens!“ erwidere ich, während Christopher ihr die Hand schüttelt.
„Na, dann legen Sie sich mal auf die Liege, damit wir einen Ultraschall machen können.“
Während sie mir den Unterleib eincremt, sitzt Christopher direkt neben mir und hält mir die Hand. Die Ärztin fährt mit dem Leser über den Bauch und zeigt plötzlich auf einen winzigen Punkt.
„Da ist es. Das wird einmal ein neuer Erdenbürger.“
Ich schaue wie gebannt auf den Monitor, während ich spüre, wie Christopher immer fester meine Hand drückt.
„Aua, das tut weh!“
Er schaut mir entschuldigend in die Augen und ich sehe Tränen.
„Ich liebe Dich, Nicky! Ich hätte nie gedacht, dass mir nochmal so ein Wunder geschenkt wird!“
Die Ärztin reißt uns aus unseren Gedanken. „Möchten Sie ein Bild davon.“
Wie aus der Pistole geschossen antworten wir gleichzeitig. „JA!“ Sie drückt Christopher den Ausdruck in die Hand, während ich mir das Gel abwische.

Als wir Platz genommen haben, drückt uns die Ärztin ein paar Broschüren in die Hand.
„Hier finden Sie ein paar nützliche Tipps und Adressen bezüglich der Vorbereitungskurse und wo Sie sich hinwenden können, um eine Hebamme zu finden. Ich kann Ihnen das Mount Sinai Hospital sehr empfehlen. Diese Klinik ist sehr renommiert, was Geburten anbelangt und ich bin dort auch tätig, falls Sie möchten, dass ich dabei bin. Dort werden auch direkt Kurse angeboten.“
Christopher nimmt die Unterlagen in die Hand und blättert darin.
„Wir werden alles zu Hause durchschauen, aber wenn Sie uns dieses Krankenhaus empfehlen können, dann denke ich, werden wir uns daran halten.“
„Alles klar. Dann sehen wir uns in vier Wochen wieder, Miss Fischer. Ich gebe Ihnen noch meine Karte mit meiner Privatnummer, falls etwas sein sollte.“
„Vielen Dank, Dr. Johnson!“ verabschiede ich mich.

Wir sitzen gerade wieder im Auto, als Christopher sich zu mir dreht und meine Hände nimmt.
„Wann wollen wir es Jacob sagen? Und Nina und Marcus? Ich platze vor Freude und ich bin nicht der Typ, der Geheimnisse lange für sich behalten kann.“
Ich muss lächeln. „Naja, es ist zwar etwas, was man mit anderen gerne teilen möchte, aber man sagt ja, dass man die ersten drei Monate abwarten soll. Das ist die kritische Zeit. Wir haben ja schon fast zwei Monate davon weg, also versuche, noch einen Monat durchzuhalten, ok? Außerdem: Nina weiß es schon – sie hat einige Anzeichen zusammengezählt.“
Er küsst mich und gerade, als er den Motor starten will, platzt es aus ihm heraus.
„Jetzt kann ich endlich wieder im Haus rumwerkeln!“
Ich schaue ihn überrascht an. „Was?“
„Naja, der kleine Krümel braucht doch ein eigenes Zimmer. Ich hab mir überlegt, Jacob’s Zimmer umzudekorieren.“
Meine Augenbraue wandert mal wieder nach oben. „Umdekorieren? Was hast Du denn vor?“
„Vertraust Du mir, Nicky?“
Mehr als nicken kann ich nicht.
„Dann lass Dich überraschen.“

Als wir zu Hause sind, finden wir einen Zettel, dass Jacob mit Sarah auf dem Spielplatz ist.
„Dann lass uns doch die Gunst der Stunde nutzen und mal durch die Broschüren blättern.“ schlage ich vor.
Wir machen es uns auf der Couch gemütlich und ich lege meinen Kopf auf Christopher’s Brust. Es dauert ewig, bis wir uns für einen Kurs entschieden haben, doch letztendlich sind wir uns einig. Das Angebot ist perfekt, denn der Kurs findet zweimal wöchentlich jeweils abends um 18 Uhr statt, so dass Christopher normal arbeiten kann – und ich auch, schließlich vertrete ich ja Josie.
„Sag mal, Chris, was ist eigentlich, wenn ich in Mutterschutz gehe?“
Er schaut mich fragend an.
„Naja, ich meine, Ihr habt doch dann keine Sekretärin mehr. Ich könnte natürlich ein paar Sachen von zu Hause machen, aber nicht mehr alles.“
Er küsst mich auf die Stirn. „Mach Dir da mal keine Sorgen, Schatz. Dann müssen die Herren Lawson eben mal ohne eine weibliche Hilfe auskommen. Wird uns sicher nicht leicht fallen, aber was tut man nicht alles.“

Eine Woche später werden wir zum Angrillen bei Jacob eingeladen. Nina und Marcus sowie Claudia sind natürlich auch mit von der Partie. Jacob und Claudia sind mittlerweile ein Paar und ergänzen sich perfekt. Immer öfters übernachtet sie bei ihm und Christopher und ich sowie Nina und Marcus sind uns sicher, dass es was ernstes ist. Als mir Claudia Wein einschenken will, lehne ich dankend ab.
„Hey, was ist denn mit Dir los?“ fragt Jacob, der es mitbekommt. „Du scheust doch sonst keinen guten kanadischen Wein.“
Christopher schaut mich leicht aufgeregt an, aber ich zwinkere ihm beruhigend zu.
„Ich hab etwas Kopfschmerzen und die will ich nicht noch mit Alkohol verstärken. Ich bleibe lieber beim Wasser.“
Damit gibt er sich Gott sei Dank zufrieden. Nina schenkt mir ein leichtes Lächeln und gibt mir dann mit einem leichten Kopfnicken zu verstehen, dass sie mit mir im Garten reden möchte. Wir beide verabschieden uns für ein „Frauengespräch“ und zehn Minuten später sitzen wir auf den Gartenmöbeln am Rand des Gartens, den Marcus damals noch angelegt hat.
„Und, in der wievielten Woche bist Du denn jetzt? Seit dem Barbecue bei uns haben wir ja nicht mehr darüber gesprochen.“
„Ich bin jetzt in der neunten Woche. Wir wollen mit der Verkündung noch warten, bis ich über die drei Monate hinaus bin. Du weißt ja, was man sagt.“
Sie nickt. „Ja, haben wir auch so gemacht. Sicher ist sicher! Hast Du Dir schon ein Krankenhaus rausgesucht? Und was ist mit dem Vorbereitungskurs? Man muss sich frühzeitig anmelden, obwohl man erst ab dem fünften Monaten anfangen soll, aber die Plätze sind echt begehrt.“
Ich erzähle Nina von den Broschüren und unseren Entscheidungen bezüglich Krankenhaus und Kurs.
„Sehr gute Wahl. Im Mount Sinai Hospital war ich auch und werde auch wieder dorthin gehen. Hervorragende Betreuung – und das Essen ist auch nicht zu verachten!“
Wir lachen lauthals auf.

Sarah und Mathilda spielen im Sandkasten im Kasten und als die beiden uns lachen hören, schenken sie uns ein wunderschönes Kindergrinsen. Mein Herz wird weich, wenn ich daran denke, dass ich eine Familie geschenkt bekommen habe und jetzt noch ein eigenes Kind von Christopher bekomme.
„Nicky, wenn Du irgendwie Hilfe benötigst, dann lass es mich wissen.“
Ich schaue auf ihren Bauch.
„Nina, Du bist die, die eher Hilfe brauchen wird, schließlich bist Du ja schon im sechsten Monat.“
Nina winkt ab. „Mag sein, aber ich mach das ja nicht zum ersten Mal.“
Wir sehen Christopher auf uns zukommen.
„Na, wie fühlt man sich als baldiger zweifacher Papa?“
Er zuckt mit den Schultern. „Im Moment auch nicht anders als vorher. Frag mich das nochmal, wenn der kleine Krümel auf der Welt ist und die schlaflosen Nächte wieder losgehen.“

Claudia beginnt, den Tisch abzuräumen, während es sich die Herren bei einem Bier in den Liegestühlen auf der Terrasse bequem machen.
„Hey, Bro!“ ruft Jacob. „Leistest Du uns Gesellschaft?“
„Aber immer doch, Jay!“
„Ich helfe mal Claudia etwas“, sage ich und lasse Nina allein, die ihre Beine ausstreckt und ihr Gesicht gen Sonne reckt.
Als wir in der Küche sind, schaut mich Claudia von der Seite an und lächelt.
„Was?“ frage ich sie.
„Kopfschmerzen, ja?“
Ich kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
„Ha, Wusst’ ich’s doch. Ich weiß noch, wie meine Schwester versucht hat, es geheim zu halten, aber ich bin ihr ganz schnell auf die Schliche gekommen. Noch nicht ganz dritter Monat nehme ich an.“
Ich nicke. „Erwischt! Aber bitte behalt’s vorerst für Dich.“
„Sicher doch, Nicky! Ich freu mich so für Dich und Christopher! Und Jacob wird dann zum zweiten Mal Onkel. Na, ob er das verkraftet!“ Ich stelle wieder einmal fest, wie toll doch Claudia ist und wie gut es das Schicksal mit der Familie Lawson, Marcus und Nina sowie mir gemeint hat.

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