Kapitel 40

Im Krankenhaus angekommen werde ich von oben bis unten durchgecheckt. Dr. Johnson wurde parallel informiert und nimmt die Untersuchungen selbst los.
„Sie dürfen die Sonne nicht unterschätzen, Miss Fischer.“ sagt sie nach einer Weile zu mir. „Bauchkrämpfe an sich sind in der Schwangerschaft ganz normal, aber wenn Sie zu wenig trinken und dann die Hitze – das kann auch schnell mal komplett nach hinten losgehen! Versprechen Sie mir bitte, dass Sie in Zukunft bitte ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen.“
In diesem Moment stürmt Christopher ins Behandlungszimmer. „Schatz!“ kreischt er fast. „Geht’s Dir gut, was ist passiert? Du hast mir einen Heidenschreck eingejagt!“
Dr. Johnson erklärt ihm die Situation und dass sie mich über Nacht hier behalten will. Mir passt das eigentlich gar nicht, aber dagegen wehren kann ich mich sowieso nicht – abgesehen von Dr. Johnson kenne ich vor allem Christopher’s Sturkopf.
„Also, Miss Fischer. Denken Sie daran, was ich Ihnen gesagt habe. Ich werde morgen früh noch einmal vorbeikommen und wenn über Nacht nichts vorgefallen ist, kann Sie ihr Freund am Mittag wieder mit nach Hause nehmen. Mr. Lawson, kann ich Sie noch einen Moment draußen sprechen?“
Kurz, bevor die beiden aus dem Zimmer gehen, erhebe ich noch einmal die Stimme. „Dr. Johnson?“
„Ja, Miss Fischer?“
„Mit dem Baby ist aber alles in Ordnung, oder?“ Ich spüre, wie sich Angst in meinem Kopf und meiner Magengegend breit macht.
„Ja, natürlich! Dem Kleinen geht es gut.“
Ich sinke erleichtert zurück ins Kissen.

Kurze Zeit später stehen Marcus, Sarah und Jacob an meinem Bett.
„Nicky, Du hättest Christopher sehen sollen! Der ist gefahren wie ein Henker! An einer Ampel bin ich ausgestiegen und hab ihn auf den Beifahrersitz geschubst, sonst hätte er jeden Blitzer mitgenommen. Bitte, jage ihm und auch mir nie wieder so einen Schrecken ein!“
Marcus nickt nur stumm daneben und ich bemerke, wie er nachdenkt. Ich ergreife seine Hand und er schaut mich an.
„Mac, was ist los?“
Er schluckt. „Ach… nichts!“
„Komm schon, wir kennen uns zu lange, als dass Du mir was vormachen könntest!“
Auch Jacob schaut ihn jetzt mit großen Augen an.
„Naja, es ist nur… ich hatte… ich hatte Angst um Dich und das Kind. Ich hab mir gedacht, dass soviel schwere Schicksalsschläge ein einzelner Mensch doch nie im Leben ertragen kann. Ich hatte die Befürchtung…“
Marcus holt tief Luft und innerlich weiß ich, was er sagen will.
„Egal, es ist ja alles gut gegangen! Und das ist jetzt das wichtigste: Dir und dem Kleinen geht es gut!“
Er steht auf und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Sarah, wollen wir uns etwas zu trinken holen?“
„Au ja, aber ich muss noch was machen.“
Wir alle schauen die Kleine fragend an, als sie plötzlich auf das Bett krabbelt, ganz nah zu mir rutscht, mit ihrer kleinen Hand über meinen Arm streichelt und mir dann einen Kuss auf die Wange gibt.
„Ich hab Dich lieb, Nicky!“
Ich bin überwältigt von dieser Geste und als sie sich umdreht und mit Marcus aus dem Zimmer geht, lasse ich meinen Tränen freien Lauf. Jacob spürt, dass es nicht nur wegen Sarah ist. Er setzt sich zu mir auf’s Bett, nimmt mich in den Arm und wiegt mich sanft.
„Ist schon okay, Nicky! Lass es raus! Ich kann verstehen, dass Dich das alles mitnimmt.“
Nur mit Mühe und Not kann ich meinen Kloß im Hals runterschlucken.
„Weißt Du, Jay, dass ich genau das gleiche gedacht habe wie Marcus? Bevor Dr. Johnson mir eindeutig gesagt hat, dass es dem Baby gut geht, hatte ich solche Angst, dass dem Kleinen wegen meiner Dummheit irgendwas passiert ist. Ich hätte Christopher nie wieder in die Augen schauen können!“

Jacob hält mich an den Schultern fest und schaut mich eindringlich mit seinen blauen Augen an.
„Nicky, so was darfst Du nicht mal denken! Es ist nicht Deine Schuld! Ich bin auch nicht der Typ, der drei Liter am Tag trinkt und sich gern bei Wind und Wetter und übelster Hitze draußen aufhält! Auch jemanden, der nicht im sechsten Monat schwanger ist, hätte das passieren können. Christopher hätte Dir nie im Leben Vorwürfe gemacht. Und jetzt hör auf, überhaupt darüber nachzudenken – schließlich ist nichts passiert! Euch beiden geht es gut!“
Ich weiß, dass Jacob recht hat, aber im Moment kommt es noch nicht vollkommen bei mir an.

Nach einer Weile kommt Christopher herein und Jacob verabschiedet sich.
„Ich warte dann draußen auf Dich, Bro!“
Er lächelt seinen Bruder kurz an und verschwindet dann.
„Schatz, ich kann Dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass es Euch beiden gut geht.“ Er legt seine Hand auf meinen Bauch. „Als Marcus mich angerufen hat, bin ich selbst fast im Baumarkt umgekippt! Ich hatte solche Angst um Euch beide!“
Ich streichele seine Hand. „Tut mir leid, Chris! Ich wollte das nicht. Ich verspreche, dass ich in Zukunft vorsichtiger bin.“
Christopher reißt seine Augen an. „Das will ich aber auch hoffen. Dr. Johnson hat mir eben ein paar Tipps gegeben und die werden wir zu Hause beherzigen. Aber ich lass Dich jetzt allein. Schlaf erstmal etwas. Hier ist es ja Gott sei Dank angenehm kühl. Ich komm dann später nochmal vorbei und bring Dir ein paar Sachen für die Nacht, okay?“
Er küsst mich sanft.
„Danke, Christopher! Für alles, was Du für mich getan hast!“
Er lächelt, dreht sich um und geht.

Nachdem er mir abends einen Pyjama und frische Kleidung sowie Waschzeug vorbeigebracht habe, bleibe ich allein im Krankenhaus zurück. Dr. Johnson hat mir erlaubt aufzustehen, allerdings soll ich mich nicht überanstrengen. Da es jetzt angenehm kühl ist, gehe ich in den Park hinter dem Gebäude und setze mich auf eine Bank.
„Wir beide machen das nicht noch mal, hörst Du?“ sage ich zu meinem Bauch. Ich spüre, wie ich leicht getreten werde und habe das Gefühl, es ist eine Art Zustimmung.

Am nächsten Morgen gibt mir Dr. Johnson das Okay und zwei Stunden später steht Christopher mit Sarah an der Hand vor meiner Tür.
„Ich weiß nicht, ob eine Überraschung für Dich gut ist.“ schaut er mich leicht grinsend an. Irritiert erwidere ich.
„Was meinst Du damit?“
„Naja, ich habe da was, was ich Dir zeigen will, aber ich möchte Dich nicht überanstrengen!“
„Christopher, ich bin schwanger, aber nicht krank! Ich habe seit gestern gefühlte zehn Liter Wasser getrunken. Mir geht’s gut – ehrlich! Und außerdem…“ Ich zwicke ihm leicht in den Oberarm. „…Du hast mich jetzt damit heiß gemacht, also will ich es auch wissen!“
Er hebt beschwichtigend eine Hand. „Ist ja schon gut. Wie war das: Mit Schwangeren soll man sich nicht anlegen?“

Als wir in den Flur kommen, spüre ich zunächst die angenehme Kühle. Jacob, der uns entgegenkommt und Christopher meine Tasche aus der Hand nimmt, hat die Klimaanlage noch etwas weiter runtergedreht.
„Die Terrasse und der Garten, sofern kein Schatten, ist von 10 Uhr bis abends 18 Uhr nur in Notfällen von Dir zu betreten, Nicky, damit das klar ist.“
Ich nicke. „Aye, aye, Chef!“
„Okay, Schatz. Ready für die Überraschung!“
Energisch nicke ich. Wir gehen die Treppen nach oben, gefolgt von Jacob und Sarah. Vor Jacob’s ehemaligem Zimmer machen wir Halt.
„Jetzt schließ die Augen!“
Ich hole einmal tief Luft, schließe die Augen und lasse mich von Christopher an die Hand nehmen. Ich spüre, wie die Tür aufgeht, denn das Licht, was durch die Fenster ins Zimmer dringt, kann ich selbst durch die geschlossenen Augen wahrnehmen. In meine Nase dringt der Geruch von frischem Holz. Okay, denke ich mir, gestrichen wurde das Zimmer schon mal nicht. Vielleicht mit Holz verkleidet? In meinem Hirn arbeitet es. Wir gehen ein paar Schritte und dann bleiben wir stehen. Christopher tritt hinter mich und flüstert mir sanft ins Ohr.
„Wenn Du willst, darfst Du die Augen jetzt öffnen.“
Die Atmosphäre ist gerade so angenehm mit meinen geschärften Sinnen, dass ich es für einen kurzen Moment eigentlich gar nicht möchte, aber dann überkommt mich doch die Neugier und ich öffne die Augen und was ich dann sehe, nimmt mir fast den Atem!
„Oh… mein… Gott!“ stottere ich. „Das… wann… sie ist… sie ist einfach wunderschön!“
Vor mir steht eine Wiege aus Holz, hellblau gestrichen mit wellenförmigen Verzierungen. Blumen in jeglichen Farben und Formen sind über dem kompletten Holz verteilt – nicht zu viele, genau perfekt. Ein riesiger Himmel aus weißem Chiffon schwebt über der Wiege mit einem einzelnen Schmetterling an der Spitze. Ich trete näher heran und sehe, dass bereits Bettzeug darin liegt. Mit großen Augen drehe ich mich zu Christopher um.
„Die habt Ihr nicht erst gestern gekauft, habe ich recht?“
Er nickt und lächelt dann zu Jacob.
„Wir haben sie vor ein paar Wochen zufällig gesehen und uns beide sofort in sie verliebt. Wir haben immer nur auf den günstigen Moment gewartet, sie aufzubauen und gestern... Naja… Da warst Du halt nicht da und da haben wir das ganze dann in Angriff genommen.“
Ich schüttele fassungslos den Kopf. „Und das Bettzeug?“
Ich zeige auf das Kopfkissen und die Decke, die beide mit dem Namen unseres zukünftigen Sohnes verziert sind. Jacob grinst verschwörerisch.
„Sagen wir mal so: wir hatten so unsere Helferlein.“
Ich bin völlig baff! „Ihr seid… Ihr seid… einfach fantastisch!“ sage ich laut und nehme die beiden Brüder gleichzeitig in die Arme.
Mir laufen Tränen der Rührung über die Wangen, als ich links und rechts einen Kuss bekomme. Sarah, die neugierig die ganze Zeit an der Wiege stand und uns schon fast nicht mehr wahrgenommen hat, schlängelt sich zwischen uns und genießt die Familienumarmung.

* * * * *

Die Zeit vergeht wie im Fluge – mittlerweile ist Anfang Oktober. Christopher und ich gehen gemeinsam zweimal die Woche zum Vorbereitungskurs und haben dort wider Erwarten viel Spaß. Seit meinem kleinen Zusammenbruch passt Christopher oder – in seiner Abwesenheit – Jacob gut auf mich auf, so dass ich fast platze vor Flüssigkeit. Aber ich weiß, dass es nur gut gemeint ist. Sarah freut sich immer mehr auf ihr kleines Brüderchen und streichelt fast täglich meinen Bauch. Ich genieße ihre Berührungen und als sie immer öfters „Mami“ zu mir sagt, habe ich das Gefühl, sie hat mich vollends akzeptiert.

Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin werde ich nach und nach nervöser. Aber Christopher geht es nicht anders. Jacob ist fast täglich abends bei uns, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen und auch Marcus und Nina melden sich ab und an. Eines Tages sagt Christopher nach dem Frühstück.
„Ich teste jetzt mal, wie lang wir zum Krankenhaus brauchen.“
Irritiert schaue ich ihn an. „Du machst was?“
„Na, ich muss doch die Rush Hour und alles mögliche bedenken. Ich will nicht, dass wir dann im Stau stehen.“
Ich lächele und berühre seine Hand. „Schatz, das ist total süß von Dir, aber was ist, wenn der kleine Krümel entscheidet, nachts zu kommen. Da gibt’s keine Rush Hour. Oder wenn Du grad nicht da bist und ich auf ein Taxi warten muss? Es kann so viel anderes eintreten, da…“
Seine Augen werden riesengroß. „Ein Taxi rufen? Ich werd Dich in den nächsten Tagen keine Sekunde allein lassen! Ich will von Anfang an dabei sein. Als Sarah geboren wurde, war ich im Büro und bin erst spät im Krankenhaus angekommen. Ich möchte diesen Fehler nicht noch einmal machen.“
Ich nicke. „Na, dann fahr mal los. Du kannst ja 15 Minuten abziehen, falls wir außerhalb der Rush Hour los müssen.“

Keine Stunde später steht er wieder vor der Tür.
„Also, wenn wir immer grün haben und der Verkehr so ist wie heute, brauchen wir 20-30 Minuten. Somit sind wir nachts in 15 Minuten im Krankenhaus.“ Ich schüttele leicht den Kopf. „Wenn Du meinst.“

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