Kapitel 32

Am Sonntag morgen, als ich gerade das Frühstück mache, kommt Jacob freudestrahlend die Treppe herunter.
„Sie hat gestern Abend noch geantwortet.“
Ich lächele ihn an. „Na also! Und, habt Ihr was ausgemacht?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein, sie hat zum Schluss nur geschrieben… Warte mal.“
Jacob schaut auf sein Handy.
„Sie hat geschrieben: ‚Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder. Würde mich freuen, mehr von Dir zu erfahren.’“
Ich drehe mich um und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. „Und, wirst Du sie wieder sehen?“
Er nickt. „Natürlich werde ich, aber ich will sie nicht überfahren. Vielleicht übernimmst Du jetzt erstmal.“

Nach dem Frühstück rufe ich Nina an und erzähle ihr von Claudia und dem Plan.
„Also, Zufälle gibt’s! Natürlich will ich Claudia kennen lernen! Ich wär’ nie auf die Idee gekommen, einen Innenarchitekten zu beauftragen, aber wenn wir dadurch Jacob… nennen wir es… helfen können, bin ich absolut dabei!“
Wir vereinbaren, dass ich Claudia am Montag anrufe und alles in die Wege leite. Jacob grinst bis über beide Ohren, als ich aufgelegt habe. Natürlich hat er jedes Wort mitgehört und ist total aus dem Häuschen!
„Gott, ohne Dich und Nina müsste ich mich echt ins Zeug legen, aber so kann ich auf die weibliche Vermittlung verlassen.“
„Mach Dir keine Sorgen, Jacob.“

Am Montag morgen drängt mich Jacob, gleich bei ihr anzurufen. Christopher sitzt noch mit Sarah beim Frühstück und grinst sich einen ab.
„Jacob, jetzt komm mal etwas runter!“
„Du musst grad reden, Bro! Wenn ich daran denke, wie Du hier auf- und abgetigert bist, als Du auf Nicky’s Anruf gewartet hast…“
Ich schaue zwischen den beiden überrascht hin und her.
„Ach, davon weiß ich ja gar nichts, Christopher!“
Er wird leicht rot und ich muss schmunzeln. Ich gehe auf ihn zu und gebe ihm einen Kuss.
„Aber es ist schön zu wissen, dass es Dir genau so ging wie mir.“
Gerade, als ich zum Telefon gehen will, zieht er mich zu sich auf den Schoß.
„Ich hab Dich vom ersten Moment an geliebt, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte.“ Er umarmt mich, während er in mein Ohr flüstert: „Wenn Du willst, organisier ich mal wieder einen sturmfreien Abend.“
Als er mich wieder loslässt, schaue ich ihn verschmitzt an und flüstere ebenfalls. „Nichts dagegen.“
Innerlich hoffe ich, dass er diesen Abend bald organisiert, denn wir haben uns jetzt relativ zurückgehalten, während Jacob im Haus war und außerdem war es mir auch gegenüber Sarah irgendwie unangenehm, wobei mir Christopher immer wieder versichert hat, dass sie einen sehr gesunden Schlaf hat.

„Hallooohooo, könntest Du jetzt bitte mal Nicky ihre Pflicht tun lassen?“ reißt uns Jacob aus unseren Gedanken.
„Aber tu mir bitte einen Gefallen, Jacob, und lass mich dabei allein. Ich kann Dich dabei nicht gebrauchen, ok?“ Ich schaue ihn leicht ermahnend an.
„Aber wenn Du mich brauchst“, erwidert er.
Ich muss lachen. „Wozu sollte ich Dich denn brauchen, wenn ich mit einer Innenarchitektin einen Termin ausmache?“
Er verdreht die Augen. „Schon gut, dann geh ich halt.“
Ich schnapp mir das Telefon und den Zettel mit Claudia’s Nummer und gehe in den Garten, um ungestört zu sein.

„Interior Design, Claudia Morgner, hello?“
„Hi, Nicky Fischer. Kann ich deutsch mit Ihnen sprechen?”
„Oh, natürlich, schön, mal wieder in der Muttersprache reden zu können.“
Allein ihre Stimme sagt mir sofort, dass sie eine herzensgute Person ist.
„Ähm, ich habe Ihre Nummer von einem Bekannten, Mr. Lawson.“
Ein kurze Pause am anderen Ende. „Oh, Mr. Lawson. Dann sind sie Nicky, die Freundin seines Bruders?“
Ich bin überrascht, dass sie so etwas schon weiß und nehme mir vor, Jacob ein wenig die Ohren lang zu ziehen.
„Ha, ja, genau. Jacob kann aber auch nichts für sich behalten. Naja, wie dem auch sei. Meine Freundin hat sich ein Haus gekauft und bräuchte dringend ein paar Tipps bezüglich der Inneneinrichtung. Sie hatte vor, in den nächsten Tagen diverse Läden zu plündern und ich dachte mir, dass sie ihr vielleicht etwas dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen könnten.“
„Aber sehr gerne!“ erwidert sie. „Allerdings wäre es ganz gut, wenn ich vorher auch das Haus sehen könnte, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Meinen Sie, ich könnte bei ihnen vorbeischauen?“
Ich überlege kurz. „Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Adresse gebe und wir treffen uns dort. Wann würde es Ihnen denn passen? Meine Freundin ist relativ flexibel.“
Claudia checkt ihren Kalender – ich kann es an dem Rascheln von Papier erkennen. „Passt Ihnen Mittwoch? Sagen wir gegen 10:30 Uhr?“
Ich bestätige, gebe ihr die Adresse des Hauses und verabschiede mich. Als nächstes rufe ich bei Nina an, die sich natürlich riesig freut, dass es so schnell klappt.
„Ich hol Dich dann am Mittwoch so gegen halb 10 ab, ja? Dann müssen wir nicht mit zwei Autos fahren“, schlägt sie vor.
„Perfekt, danke Dir, Nina!“

Kaum habe ich aufgelegt, steht Jacob schon in der Terrassentür.
„Uuuuuuund?“
„Also als erstes, Jacob: musst Du einer wild Fremden gleich auf die Nase binden, dass ich die Freundin Deines Bruders bin?“
Noch bevor er antworten kann, lache ich herzhaft und erzähle ihm dann von meinem Gespräch.
„Claudia kommt am Mittwoch Vormittag zu Nina’s Haus, wo sie sich alles anschaut und danach fahren wir in die Stadt zum einkaufen.“
Er zieht die Augenbraue hoch. „Und wo komme ich da ins Spiel?“
Ich sehe Christopher durch das Wohnzimmer auf uns zulaufen und er grinst mich an, während er mit dem Kopf schüttelt.
„Jacob, ich hab Dich schon eingeplant. Ganz ruhig! Ich bin mir sicher, dass Claudia auch Unterlagen bezüglich der Größe von den Räumen des Hauses braucht und die wirst Du uns während der Besichtigung vorbeibringen. Nina hat sie ganz zufällig zu Hause vergessen und ich werde Dich anrufen, damit Du uns die Sachen aus dem Büro vorbeibringst.“
Christopher legt seine Hand auf Jacob’s Schulter. „Siehst Du, ich hab Dir doch gesagt, dass Nicky die Sache deichselt. Jetzt darfst Du es nur nicht vergeigen!“

In diesem Moment brummt Jacob’s Handy. Als er auf das Display schaut, beginnt sein Gesicht wieder zu strahlen: Claudia. Er geht ins Haus und Christopher und ich schauen ihm von draußen zu.
„Deutsche Mädels scheinen zur Zeit das Steckenpferd der Lawsons zu sein“, sagt Christopher eher zu sich selbst als zu mir und lässt seinen Arm um meine Taille fahren. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter.
„Stört’s Dich?“
Er zieht mich fester an sich. „Ganz im Gegenteil.“
Jacob kommt wieder zu uns.
„Und, was hat sie geschrieben?“
„Ach, sie hat sich bedankt, dass ich ihr einen Auftrag erteilt habe.“
Ich mustere ihn. „Und sonst nichts?“
Er druckst herum. „Doch.“
Christopher verdreht die Augen. „Jetzt sag schon oder muss man Dir jedes Wort aus der Nase ziehen?“
„Sie würde sich gern mit einem Kaffee bei mir bedanken.“
Christopher und ich grinsen erst uns, dann Jacob an.
„Und was hast Du geantwortet?“ will ich wissen.
„Noch nichts, weil ich nicht weiß, ob ich gleich oder erst nach Mittwoch antworten soll.“
„Wieso sollst Du bis nach Mittwoch warten? Frag sie doch, ob Ihr Euch morgen Mittag treffen könnt. Irgendwo in der Stadt. Es geht ja nur um einen Kaffee.“
Er nickt und fängt an zu tippen. Keine zwei Minuten später kommt die Antwort. Wir erfahren zwar nicht, was sie geschrieben hat, aber sein Lächeln sagt uns genug.

Jacob ist den ganzen Nachmittag wie ein Flummy. Er rennt durch die Wohnung, wuselt hier rum, macht da was, aber kann sich nie lange bei einer Sache aufhalten.
„Bro, was hältst Du davon, wenn Du später mit Sarah ins Kino gehst? Sie wollte den neuen Disney-Film sehen und Du magst doch diese Animationen auch so sehr. Dann bist Du wenigstens ein bisschen abgelenkt.“ schlägt Christopher vor.
Jacob kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich bin abgelenkt, Sarah sieht endlich ihren Film… und Ihr habt sturmfreie Bude, hab ich recht.“
Sein Blick wandert zu mir und ich fühle, wie meine Ohren rot werden.
„Was dagegen? Ich scheuch Dich zumindest aus dem Haus, Du hast früher mit Deinen Eroberungen keine Rücksicht auf mich und Sarah genommen. Bloß gut für Dich, dass die Kleine so ‘nen gesunden Schlaf hat.“
Wir drei müssen lachen.
„Okay, okay, eins zu null für Dich, Chris. Klar, mach ich doch gerne für Euch zwei. Wie lange braucht… ich meine… wie lange… sollen Sarah und ich den Film mehrmals schauen?“
Christopher kratzt sich verlegen im Nacken und schaut mich von der Seite an, aber mehr als ein Schulterzucken bekomme ich auch nicht hervor.
„Na toll“, sagt Jacob gespielt genervt. „Dann werde ich wohl mit Sarah dreimal in den Film gehen und danach noch ne Runde durch die Stadt laufen. Ihr könnt ja anrufen, wenn Ihr fertig seid.“

Ich kann es gar nicht erwarten, bis Sarah aus dem Kindergarten kommt. Jacob nimmt ihr den Rucksack ab und verkündet ihr dann ganz stolz, dass sie zusammen ins Kino gehen.
„Oh toll, toll! Gehst Du auch mit, Nicky?“ schaut sie mich mit großen Augen an.
„Ähm, leider nicht, Schatz! Ich muss Deinem Daddy bei ein paar Sachen helfen. Aber Du musst mir unbedingt später alles erzählen, ja?“
Sie nickt und will schon wieder aus der Tür laufen, als Christopher mit ernstem Ton aus dem Wohnzimmer ruft.
„Sarah, was sage ich immer, bevor wir aus dem Haus gehen?“
Die Kleine macht sofort kehrt und rennt nach oben. Irritiert schaue ich Jacob an, der mich anlächelt.
„Das nennt man Erziehung, Nicky. Sarah soll nochmal auf’s Klo.“
Ich muss lachen. Was ein Daddy! Er darf mich auch gern erziehen!

Ich schließe hinter Jacob und Sarah die Tür, drehe mich um und schaue Christopher an, der im Rahmen zum Wohnzimmer steht.
„Und jetzt?“ grinst er mich an.
„Was Du willst! Du darfst mich auch gern erziehen!“
Für einen Moment stutzt er. „Ich darf was?“
Lasziv laufe ich auf ihn zu. „Erzieh mich, Chris! Ich bin eine geduldige Schülerin!“
Ich stehe ganz nah vor ihm, so dass sich unsere Nasenspitzen fast berühren und wir spüren gegenseitig den Atem des jeweils anderen auf der Haut. Ich liebe seinen Geruch und könnte ewig so stehen bleiben. Ganz langsam und vorsichtig lässt er seine Hand an meiner Wange hinab gleiten, streicht mit den Fingerspitzen über meinen Hals und packt mich dann im Nacken, so dass er seine Lippen auf meine pressen kann, ohne dass ich fliehen kann. Aber will ich das überhaupt – nein, ganz im Gegenteil! Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und erwidere den Kuss.

Vorsichtig bugsiere ich ihn in Richtung Wohnzimmer, als er plötzlich innehält.
„Wer erzieht denn hier wen?“
Ich schaue ihn entschuldigend an und senke meinen Kopf, doch er hebt ihn mit zwei Fingern wieder an.
„Vielleicht erziehen wir uns einfach gegenseitig.“
Ich nehme ihn an der Hand und will ihn gerade auf die Couch ziehen, als er mich in die entgegen gesetzte Richtung führt. Er setzt mich auf den Schaukelstuhl in der Ecke, stellt sich vor mich und stützt sich über meinem Kopf an der Lehne ab, was den Stuhl gefährlich weit nach hinten sausen lässt. Gott sei Dank weiß ich, dass die Wand uns daran hindert umzufallen, aber im ersten Moment schrecke ich etwas zusammen.
„Schließ die Augen, Nicky!“
Immer wieder lässt er den Stuhl wippen und ich habe alle Mühe, meine Augen nicht zu öffnen. „Vertrau mir, Schatz! Ich lass Dich nicht fallen!“

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