Kapitel 30

Im Büro angekommen, begrüßt uns Josie sehr herzlich.
„Schön, Euch zwei endlich wieder zu sehen. Christopher, wie geht’s Dir? Du siehst gut aus.“
Christopher kommt gar nicht zu Wort, denn schon wendet sie sich zu Jacob.
„Na, haste uns mehr Arbeit beschafft? Ich will unbedingt Fotos von den Häusern sehen. Vielleicht werd ich ja noch Kunde bei meinem eigenen Arbeitgeber.“
Jacob versucht gar nicht erst zu antworten und nickt nur lächelnd.
„Und Du musst Nicky sein. Freut mich, Dich kennen zu lernen. Ich darf doch Du sagen, oder? Ach, wir sagen hier doch alle Du, da machen wir das jetzt einfach.“
Sie drückt mich und ich bin völlig perplex. Ich hatte nur einmal kurz am Telefon mit ihr gesprochen und da hatte ich einen ganz anderen Eindruck von ihr. Jetzt, da ich sie in Action sehe, bin ich völlig überrascht. Sie redet ohne Punkt und Komma, aber irgendwie macht sie das mehr als sympathisch.
„Na los, dann zeig ich Dir mal Deinen neuen Arbeitsplatz. Christopher hat mir in ‘ner E-Mail schon gesagt, dass Du Dich um alles kümmerst, während ich das hier regele.“
Sie trommelt mit ihren Fingerspitzen auf ihrem Bauch.
„Wie lang dauert’s denn noch?“ versuche ich zu Wort zu kommen.
„Wenn ich Glück habe, noch knapp sieben Wochen. Deshalb ist es auch gut, dass die beiden Herren so schnell ‘nen Ersatz gefunden haben. Wir sind dann mal weg.“
Noch bevor ich etwas zu Jacob oder Christopher sagen kann, schiebt sie mich in ihr Büro.

Sie erklärt mir geduldig alle notwendigen Dinge und ich stelle fest, dass es wirklich keine große Sache ist – wie mir Christopher versprochen hatte. Josie und ich beschließen, dass ich ab Montag dreimal die Woche morgens mit Jacob ins Büro komme und ich so den Alltag kennen lernen kann.
„Du solltest auch ab und an mit ihm zu den Besichtigungsterminen gehen, so dass Du die Kunden persönlich kennen lernst. Ich finde, es ist gut, wenn man die Gesichter zu den Stimmen kennt.“

Nach einer Weile geht Jacob an uns vorbei in sein Büro und Christopher geht in seines.
„Ich check noch schnell meine Post, Schatz. Jacob will noch seine Unterlagen sortieren und dann fahren wir nach Hause. Okay für Dich.“
„Klar!“ antworte ich. „Ich bin doch hier in guten Händen.“
Plötzlich ruft mich Jacob. „Nicky, kannst Du mal kurz reinkommen?“
„Ui, Jacob will seine zukünftige Sekretärin wohl gleich mal testen“, witzelt Josie und ich schaue sie irritiert an.
„Keine Sorge, war nur ein Witz! Ich liebe es, mit den beiden zu arbeiten, weil sie nie auch nur ein schlechtes Wort über die Lippen bringen und wenn man mal ein Fehler gemacht hat, dann sagen sie, dass man auch nur ein Mensch ist. Solche Chefs gibt’s nicht alle Tage.“
Ich stehe auf und trete in sein Büro ein. Wie auch das Sekretariat sind die Büros sehr modern, aber trotzdem nicht kalt eingerichtet.
„Könntest Du bitte die Tür schließen?“
Jetzt bekomme ich es doch mit der Angst zu tun – wenn auch nur leicht. Anscheinend merkt er es und lächelt mich beruhigend an.
„Keine Sorge. Ich… Ich wollte nur die Chance nutzen, mit Dir ungestört zu reden – gleich jetzt. Setz Dich doch.“
Ich nehme vor seinem Schreibtisch in einem der bequemen Stühle Platz und schaue ihn erwartungsvoll an.
„Nicky, dieser… sagen wir… Auftrag hätte zu keinem besseren Zeitpunkt in meinem Leben kommen können. Die vier Wochen haben mir gut getan… und ich meine damit mein Gefühlschaos.“
Er setzt sich auf die Kante des Schreibtischs vor mich.
„Das heißt, Du bist jetzt über mich hinweg?“
Jacob druckst herum. „Ich würde sagen… ich bin auf einem guten Weg. Weißt Du, ich hatte Angst vor der Begegnung am Flughafen, aber als ich Dich gesehen habe – Dich und Christopher –, wusste ich, dass Ihr beide füreinander bestimmt seid und ich… ich hab keinen Stich gefühlt, wie ich eigentlich erwartet habe. Das ist doch mehr als ein gutes Zeichen.“
Ich nicke. „Ja, es freut mich, das zu hören, Jacob. Ist es denn für Dich okay, dass ich jetzt noch eine Weile bei Euch wohne, bis Marcus und Nina ins neue Haus ziehen und ich mich so lange auch noch um Christopher kümmern kann.“
Jacob legt seine Hand auf meine Schulter. „Nicky, natürlich ist das für mich okay. Ich bin doch froh, dass jemand auf Christopher aufpasst.“
In diesem Moment kommt Christopher. „Seid Ihr soweit?“
„Jap, wir können gehen. Jacob hat schon mal den Chef markiert.“
Wir drei lachen. Ich will vermeiden, dass Christopher auf dumme Gedanken kommt. Er soll nicht eifersüchtig werden, wo es doch keinen Grund gibt.
„Super, ich kann’s nämlich gar nicht erwarten, endlich die Fotos zu sehen.“
 

Kaum sind wir zu Hause, kramt Christopher die große Leinwand und den Beamer raus und zusammen richten wir in Windeseile ein kleines Kino im Wohnzimmer ein. Jacob schließt seine Kamera an und los geht’s. Ich bin begeistert von den Häusern und komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
„Oh mein Gott, Jacob, die Häuser sind… die sind einfach nur… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll… Wow!“
Jacob und Christopher grinsen sich an.
„Ich glaub, Du musst Dich mal ein bisschen intensiver mit unseren Broschüren befassen. Wir haben hier auch ne Menge schöner Häuser im Angebot.“
Ich nicke. „Klar, ich weiß. Schließlich ist das Haus von Nina und Mac ja auch der totale Traum. Aber diese Häuser hier auf den Fotos… Die müssen doch ein Vermögen kosten!“
Christopher nimmt mich in den Arm. „Ich hoffe, das Haus hier gefällt Dir auch… wenigstens ein bisschen.“
„Machst Du Witze, Chris? Ich liebe dieses Haus! Es ist für mich ein neues Zuhause geworden, gerade, als ich es am dringendsten brauchte. Und das Haus bietet mir ja auch noch ein Goodie.“ Noch bevor er antworten kann, gebe ich ihm einen Kuss.
„Soll ich Euch vielleicht alleine lassen und ne Runde spazieren gehen?“ witzelt Jacob neben uns. Ich kann an seinem Tonfall hören, dass es ihm nichts mehr ausmacht und ich bin froh darüber.
„Nee, Bro, lass mal. Heute nicht.“
Für einen Moment schaut Jacob ihn fragend an, doch dann kapiert er. „Ah, verstehe! Ihr habt die sturmfreie Zeit gut genutzt, was?“
„Kann man so sagen.“
Bis zum späten Abend flippen wir durch die Fotos und auch die Broschüren von Kalifornien schauen wir uns eingehend an, bis zuerst Jacob und dann Christopher und ich fast schon auf der Couch einschlafen. Als wir im Bett liegen, bin ich glücklich, dass alles so gut verlaufen ist und Jacob die Zeit in den USA so gut getan hat. Irgendwie habe ich erst jetzt so richtig das Gefühl, dass mein neues Leben beginnen kann.

* * * * *

In den nächsten Wochen beginne ich, mit Josie die Einarbeitung und Jacob nimmt mich ab und an mit zu Besichtigungen. Ich liebe diese Arbeit und komme auch mit den Kunden super zurecht. Christopher kümmert sich zu Hause um einige Dinge, die er am Laptop erledigen kann. Außerdem erkundigt er sich beim Konsulat, was mich und meine Arbeitserlaubnis, ein Visum etc. anbelangt. Ich hatte daran überhaupt nicht gedacht, aber Christopher hat das Thema sofort angesprochen, sobald klar war, dass ich bleiben würde.

Eines Abends sitzen wir zusammen vor’m Laptop und den Papieren und ich bin restlos überfordert. Obwohl mein Englisch mehr als gut ist, muss ich vor dem Behördenenglisch kapitulieren.
„Keine Sorge, Schatz“, beruhigt mich Christopher. „Wir bekommen das schon hin!“
Er erklärt mir die Fragen ganz genau und dann klappt es ziemlich gut.
„Ich glaube, Du musst auch einige Referenzen angeben, falls sie wegen der Arbeit nachfragen wollen. Kannst Du da jemanden nennen.“
Ich gebe ihm Namen und Anschrift meines letzten Arbeitgebers.
„Perfekt. Dann sind wir soweit durch. Ich denke, Du wirst mit Sicherheit erstmal ein Jahresvisum und eine Arbeitserlaubnis bekommen. Am besten, ich rufe morgen für Dich an und mache einen Termin aus. Erst dann kannst Du auch offiziell bei uns anfangen zu arbeiten. Wir müssen ja – auch wenn Du bei uns ja schon fast als Familienmitglied mitarbeiten wirst –, einen Vertrag machen.“
Ich lächele ihn an. „Du bist schon ein kleiner Perfektionist, Chris, oder?“
Er nimmt mich in den Arm.
„Wenn’s um Dich geht, schon, ja. Schließlich will ich Dich bei mir haben und Dich nicht wegen irgend so 'nem Papierkram verlieren.“

Zwei Tage später sitze ich in einem kalten Flur. Gott sei Dank hat mich Christopher begleitet, um mir zur Seite zu stehen. Ich habe wirklich Angst, dass es aus irgend einem Grund nicht klappen sollte, aber die Dame ist sehr zuvorkommend und nett und so dauert es auch nur eine knappe Stunde, bevor sie den entscheidenden Stempel in meinen Pass knallt und mir noch ein paar Dokumente aushändigt.
„Ich werde in den nächsten Tagen ihren letzten Arbeitgeber kontaktieren, sehe aber keine weiteren Probleme auftreten. Vielleicht könnten Sie einige Referenzdokumente nachreichen, aber das hat keine Eile. Willkommen in Kanada, Miss Fischer.“
Ich strahle über’s ganze Gesicht. Erst nach diesem letzten Satz fühle ich mich richtig wohl – ich darf offiziell in Kanada bleiben, hier arbeiten und wohnen… und mit Christopher zusammen sein.

Am Samstag Mittag klingelt das Telefon: Marcus.
„Hey, Nicky! Wie läuft’s bei Euch? Wir hatten überlegt, nochmal Schlittschuhlaufen zu gehen, bevor die Saison vorbei ist. Wie schaut’s aus?“
„Warte kurz, Mac, ich frag mal in die Runde.“
Da Jacob und Christopher über einigen Unterlagen im Wohnzimmer sitzen, kann ich sie direkt gemeinsam fragen.
„Hey, Marcus, Nina und Mathilda wollen heute Nachmittag nochmal auf den Humber River, bevor es nicht mehr erlaubt ist. Was meint Ihr?“
Christopher schaut mich mit großen Augen an.
„Krankenschwester Nicky will mich mit einem Gipsarm auf’s Glatteis lassen?“
Ich muss lachen. Daran hatte ich mit keiner Silbe gedacht.
„Oh, natürlich. Dann…“
„Nein, nein!“ fällt mir Christopher ins Wort. „Hier wird nichts abgesagt. Du gehst mit Sarah und Jacob und ich genieß dann mal für ne Weile die sturmfreie Bude. Aber bitte – ich möchte niemanden im Krankenhaus besuchen müssen!“
„Versprochen!“ sagen Jacob und ich fast zeitgleich.
„Marcus, also wir kommen gern mit – abgesehen von Christopher, der zu Hause bleibt.“
Ich kann die Freude in seiner Stimme hören. „Super, dann kommen wir so gegen halb 3 Uhr bei Euch vorbei, einverstanden?“

Schon während des Mittagessens ist Sarah ganz aufgeregt, weil sie endlich wieder mit Mathilda auf dem Eis toben kann.
„Aber nicht wieder so energisch, Schatz! Wir wollen doch nicht, dass Du wieder jemanden umrennst. Versprichst Du mir das?“
Die Kleine wird leicht rot und senkt den Kopf. „Ja, Daddy, versprochen!“
Kurze Zeit später packen wir unsere Sachen und schon klingelt es an der Tür.
„Hey, Nicky!“ begrüßt mich Nina stürmisch. „Nächste Woche fangen wir an unsere Sachen für den Umzug zu packen und ich brauch unbedingt Deine Hilfe, was das Design der neuen Räume anbelangt. Ich liebe es, in diesen Geschäften shoppen zu gehen und Mac ist nicht wirklich eine Hilfe. Was hältst Du davon?“ Sie zieht mich schon nach draußen Richtung Auto, noch bevor ich mich von Christopher verabschieden kann. Ich schaffe es gerade noch, ihm ein Lächeln über meine Schulter zuzuwerfen und er lächelt zurück. Nina bugsiert mich zu ihrem Auto und obwohl ich eigentlich mit Jacob und Sarah fahren wollte, gebe ich mich meinem Schicksal hin. Wenn sie einmal ein Thema gefunden hat, ist sie nicht mehr zu stoppen. Allerdings kann sie einen auch sehr gut in den Bann ziehen.

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